Den Klimawandel besser verstehen

Nachtansicht des Observatoriums in Melpitz/Sachsen, das zu ACTRIS gehört
Foto TILO ARNHOLD/TROPOS

Deutschland bekommt eine neue Infrastruktur zur Erforschung von Feinstaubpartikeln, Wolken und Spurengasen: ACTRIS soll künftig bessere Vorhersagen für Luftqualität, Wetter und Klima ermöglichen.

06.08.2021 · Umweltwissenschaften · Leibniz-Institut für Troposphärenforschung · News · Projekte

Deutschland bekommt eine neue Infrastruktur zur Erforschung von Feinstaubpartikeln, Wolken und Spurengasen. Verteilt auf elf Einrichtungen wird dieser deutsche Beitrag zur EU-Forschungsinfrastruktur ACTRIS künftig bessere Vorhersagen für Luftqualität, Wetter und Klima ermöglichen. Der Aufbau dieser Infrastruktur wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in den kommenden acht Jahren mit insgesamt 86 Millionen Euro gefördert. In ACTRIS-D arbeiten viele Akteur:innen der deutschen Atmosphärenforschung zusammen – darunter Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Behörden. Koordiniert wird der deutsche Teil durch das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig.

ACTRIS wird Daten zu den kurzlebigen Bestandteilen der Atmosphäre vom Boden bis in die Stratosphäre liefern und so helfen, die Unsicherheiten in der Vorhersage des zukünftigen Klimas zu reduzieren, das Wissen über Klima-Rückkopplungsmechanismen zu verbessern sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität und deren Auswirkungen auf Gesundheit und Ökosysteme zu bewerten.  

ACTRIS ist die grundlegende europäische Forschungsinfrastruktur für kurzlebige Atmosphärenbestandteile, die die Erdsystembeobachtung und -forschung ausbaut und der Gesellschaft das Wissen zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen bereitstellt. Das Kürzel ACTRIS steht für Aerosol, Clouds and Trace Gases Research Infrastructure – also eine Forschungsinfrastruktur für Aerosole (u.a. Feinstaubpartikel), Wolken und Spurengase. Diese kurzlebigen Bestandteile der Atmosphäre haben großen Einfluss auf die Luftqualität und das Klima.

Die kurzlebigen Klimatreiber sind in der Regel nur wenige Stunden bis Wochen in der Atmosphäre unterwegs – im Gegensatz zu den langlebigen Treibhausgasen wie Kohlendioxid oder Methan, die viele Jahre bis Jahrzehnte in der Atmosphäre verbleiben. Deshalb ist über die Wirkung der langlebigen Treibhausgase deutlich mehr bekannt als über die kurzlebigen Bestandteile, obwohl auch diese das Klima deutlich beeinflussen. So reflektieren winzige Schwebeteilchen beispielsweise Sonnenlicht und Wärmestrahlung oder dienen als Keime für die Bildung von Wolkentropfen und Eiskristallen, was die Niederschlagsbildung beeinflusst. Der Mensch nimmt durch Landnutzung, Verkehr und Energieerzeugung Einfluss auf die kurzlebigen Klimatreiber, die sehr unterschiedlich wirken können: zum Beispiel tragen Rußpartikel zur Erwärmung bei, Sulfat- und Nitratpartikel wirken dagegen abkühlend. Klar ist, alle diese Faktoren wirken sich auf das Klima aus und müssen in den Vorhersagen berücksichtigt werden. Wie groß die zum Teil sehr unterschiedlichen Effekte aber letztlich jeweils sind, ist noch nicht ausreichend erforscht.

Neben den Wirkungen auf das Klima haben kurzlebige Bestandteile der Atmosphäre auch einen starken Einfluss auf die Luftqualität und damit auf die menschliche Gesundheit. Schwebeteilchen, umgangssprachlich Feinstaub genannt, und kurzlebige Spurengase wie Stickoxide führen zu Erkrankungen der Atemwege und reduzieren die Lebenserwartung aufgrund von Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen.

Die Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf die Atmosphäre vom einzelnen Auto bis hin zu riesigen Waldbränden können jedoch nur dann abgeschätzt werden, wenn Messungen kontinuierlich und großflächig an vielen Punkten erfolgen, denn die Atmosphäre kennt keine nationalen Grenzen. Deshalb wurde 2016 die paneuropäische Initiative ACTRIS auf die europäische Roadmap für Forschungsinfrastrukturen aufgenommen. Ab 2022 soll ACTRIS in der Rechtsform eines ERIC (European Research Infrastructure Consortium) seine langfristige Arbeit starten. Mit der Aufnahme des deutschen Beitrags ACTRIS-D auf die Nationale Roadmap für Forschungsinfrastrukturen hatte sich Deutschland 2019 zur Mitarbeit an der europäischen Forschungsinfrastruktur bekannt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert diese Initiative im Rahmen der Strategie „Forschung für Nachhaltigkeit" (FONA). Das BMBF hat nun die Förderung des Aufbaus von ACTRIS-D mit zunächst insgesamt ca. 75 Millionen Euro begonnen. Mit diesen Mitteln werden in den nächsten fünf Jahren zahlreiche feste und mobile Messstationen sowie Labore und Simulationskammern ausgebaut oder neu errichtet. Eine zweite Förderphase zum vollständigen Aufbau von ACTRIS-D ist für den Zeitraum 2026 bis 2029 geplant. Zusätzlich wird das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) einen wichtigen Beitrag leisten, indem es langfristig den Betrieb von Serviceeinrichtungen wie den ACTRIS-Kalibrierzentren finanziert.  

Hintergrund

An ACTRIS beteiligen sich europaweit weit über 100 Forschungseinrichtungen aus 22 Ländern. Sie haben über Europa ein Netz aus mehr als 70 Observatorien gespannt, das durch Stationen in den Polarregionen, den Tropen und in Asien ergänzt wird. Dazu kommen 18 Simulationskammern und Labore in Europa, in denen Prozesse in der Atmosphäre im Experiment nachgestellt werden, sowie 17 mobile Messplattformen, die an unterschiedlichen Standorten eingesetzt werden können. ACTRIS soll einer breiten Nutzergemeinschaft effektiven Zugang zu seinen Daten, Ressourcen und Diensten bieten, um eine qualitativ hochwertige Erdsystemforschung zu ermöglichen. Vom freien und offenen Zugang werden nicht nur der Technologie- und Wissenschaftsstandort Europa, sondern auch Umweltbehörden und Entscheidungsträger und damit letztlich Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa profitieren. 

ACTRIS-D-Partner TROPOS

Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) koordiniert ACTRIS-D und beteiligt sich mit allen drei Typen von Plattformen:

Zu den Beobachtungsplattformen gehören das weltweite Lidar-Netzwerk PollyNET, das Deutsche Netzwerk für Ultrafeinstaub (GUAN), die Forschungsstation Melpitz bei Torgau in Sachsen sowie das Cabo Verde Atmosphären-Observatorium (CVAO). Mit dem Schmücke-Wolken-Observatorium (SCO) wird es künftig im Thüringer Wald außerdem eine Station geben, die sich vor allem der Wolkenforschung widmen wird. 

Zu den Erkundungsplattformen gehören die Atmosphärenchemie-Kammer (ACD-C) und das Wolkenlabor (LACIS-T) am TROPOS in Leipzig. Neben diesen stationären Einrichtungen spielen auch eine Reihe von mobilen Messstationen eine wichtige Rolle zur Untersuchung von Luftqualität und Klima weltweit: Das Leipziger Aerosol- und Wolkenfernerkundungssystem (LACROS) besteht aus mehreren mit Instrumenten bestückten Containern und kann weltweit eingesetzt werden. In den letzten drei Jahren wurden damit Messungen in Punta Arenas, Chile, durchgeführt, wo unter anderem der Rauch der australischen Waldbrände im Jahr 2020 vermessen wurde. OCEANET ist eine mobile Messplattform, die weltweit auf Schiffen wie zum Beispiel während der MOSAiC-Expedition auf dem Forschungseisbrecher Polarstern mitfahren kann und dabei die Atmosphäre über den Ozeanen untersucht. Mit OCEANET-2 ist bereits ein Nachfolgesystem für das neue deutsche Forschungsschiff Polarstern II in Planung. Eine von einem Fesselballon getragene Messplattform, die sich ebenfalls unter anderem in der Arktis bewährt hat, wird als mobile Plattform für Aerosol- und Wolkenmessungen fortgeführt (ACME).

Zu den zentralen Serviceeinrichtungen von ACTRIS gehören künftig drei Kalibrierzentren am TROPOS. Das Weltkalibrierungszentrum für Aerosolphysik (WCCAP)) sorgt dafür, dass Feinstaub-Messgeräte präzise Daten liefern können. Für die Qualitätssicherung der Messdaten sorgen ebenfalls das Kalibrierzentrum für organische Tracer (OGTAC CC) und das Zentrum für Wolkenwasserchemie (CCWaC).

Die Förderung für ACTRIS-D ermöglicht in den kommenden fünf Jahren am TROPOS rund 13 neue Stellen für Forschende sowie Investitionen von rund 20 Millionen Euro und trägt damit deutlich zur Stärkung des Wissenschaftsstandorts Leipzig sowie der deutschen Atmosphären- und Klimaforschung bei.

Weitere Informationen und Kontakt

www.tropos.de