Friedensgutachten 2021: „Europa kann mehr!“

Die führenden deutschen Friedensforschungsinstitute fordern eine handlungsfähigere EU, die auf globale Herausforderungen mit nicht-militärischen Lösungen reagieren kann.

06/09/2021 · Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften · Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung · News · Forschungsergebnis

„Europa kann mehr!“ Das fordern die vier führenden deutschen Friedensforschungsinstitute in ihrem aktuellen Friedensgutachten, das sie heute auf der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt haben. Die EU muss im internationalen Machtgefüge handlungsfähiger werden, um auf globale Herausforderungen mit nicht-militärischen Lösungen reagieren zu können.

EU-intern bedeutet dies, nationalistische Bestrebungen, Demokratieabbau und Missmanagement entschieden anzugehen. Außenpolitisch gilt es, etwa bei den Konflikten im Donbass und Bergkarabach Maßnahmen zu ergreifen, die die politische Kompromissbereitschaft der beteiligten Akteure vergrößern, ohne grundlegende Prinzipien des Völkerrechts preiszugeben. Im Verhältnis zum Globalen Süden muss die EU ebenfalls neue Akzente setzen: Sie kann dazu beitragen, Impfstoffe gerecht zu verteilen, die sozioökonomischen Kosten der Pandemie abzumildern und die Armuts- und Ernährungspolitik neu zu justieren. Dazu ist ein radikales Umdenken bei den Militärausgaben nötig: Das Friedensgutachten schlägt vor, die Rüstungs- und Militärausgaben zu senken und so dringend benötigte Mittel für die globale Bekämpfung der Pandemie freizusetzen. Weil pandemiebedingt Steuereinnahmen sinken und Staatshaushalte schrumpfen, braucht die Welt diese Corona-Friedensdividende.

Zentrale Empfehlungen des Friedensgutachtens 2021 an die Bundesregierung und die EU

1. „Strategische Autonomie“ mit zivilen Mitteln gestalten

Die EU sollte bei den Gewaltkonflikten in Osteuropa und im Südkaukasus nicht tatenlos zusehen. „Sie hat das wirtschaftliche Potenzial und das diplomatische Gewicht, um friedenspolitische Akzente zu setzen – und auch zivile Verhandlungsspielräume gegenüber Russland“, betonen die Herausgeberinnen und Herausgeber.

In den schwierigen Beziehungen zu Peking sollte die EU die Kooperationspotenziale in ausgewählten Politikfeldern wie etwa in der Wirtschafts- oder Umweltpolitik nutzen. „Zugleich ist die VR China auf Kernnormen und Grundprinzipien der internationalen Ordnung zu verpflichten, zu denen auch die Menschenrechte gehören“, lautet ihre Empfehlung.

„Auch bei globalen Herausforderungen wie der Corona-Pandemie oder dem Klimawandel – die ‚strategische Autonomie‘ Europas muss stets die zivilen Komponenten der Außen- und Sicherheitspolitik betonen“, lautet ein Fazit des Friedensgutachtens 2021.

2. Corona-Friedensdividende schaffen: Militärausgaben senken, Pandemie-Bekämpfung finanzieren, humanitäre Hilfe leisten

„Es gilt, Militärausgaben zu reduzieren, um die sozial-ökologische Erneuerung der Weltwirtschaft anzugehen und soziale Ungleichheiten abzubauen. So können die Folgen der Pandemie besser bewältigt werden“, lautet der eindeutige Rat des Friedensgutachtens.

Damit Hand in Hand geht die Empfehlung, Solidarität bei der Pandemie-Bekämpfung im Globalen Süden zu üben: „Die EU sollte Finanztransfers leisten, Schulden erlassen, die privatwirtschaftliche Verantwortung für Lieferketten verankern und zu einer gerechten Impfstoffverteilung beitragen. Gesundheitssysteme und soziale Sicherungssysteme müssen über Einzelmaßnahmen hinaus gestärkt werden.“

Zwar hat Covid-19 nicht zu einer unmittelbaren Zunahme an Gewaltkonflikten weltweit geführt. Dennoch wirkt sich die Pandemie verschärfend auf die Ernährungssituation in vielen Krisenregionen wie etwa im Jemen, am Horn von Afrika oder im westlichen Sahel aus. „Die humanitäre Hilfe muss gestärkt werden“, fordern die Herausgeberinnen und Herausgeber.

3. Die Demokratie besser schützen

Weltweit erodiert die Demokratie. Eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft, der Kampf gegen Terrorismus und die Missbilligung nationaler Corona-Maßnahmen beschleunigen diesen Trend. Bürgerliche und politische Rechte müssen geschützt, pandemiebedingte Einschränkungen bei aus medizinischer Sicht unbedenklichen Infektionszahlen umgehend zurückgenommen und Parlamente als Orte der Auseinandersetzung wieder gestärkt werden. „Nötig ist sowohl der Erhalt von Demokratie innerhalb der EU und im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit demokratischer Staaten als auch die Stärkung demokratischer Institutionen in fragilen Staaten im Globalen Süden“, hebt das Friedensgutachten hervor.

Weitere Informationen und Kontakt

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