Unfaire Praktiken

Immer mehr Unternehmen nutzen Online-Plattformen, um Dienstleistungen wie Übersetzungen zu beauftragen. Doch die Arbeitsbedingungen dort sind häufig prekär, wie eine neue Studie enthüllt.

10/12/2022

Große Unternehmen, Universitäten, NGOs und Privatpersonen nutzen zunehmend Online-Plattformen, um Dienstleistungen wie Übersetzungen, Transkriptionen oder Untertitelung in Auftrag zu geben. Diese Plattformen schaffen gleichzeitig neue Einkommensmöglichkeiten für Arbeiterinnen und Arbeiter aus asiatischen und afrikanischen Ländern, die den Großteil der Online-Arbeitskräfte im Bereich der Sprachdienstleistungen ausmachen. Eine neue Fairwork-Studie von Forschenden des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und der Universität Oxford zeigt jedoch, dass viele Freiberufler auf Online-Übersetzungs- und Transkriptionsplattformen mit niedrigen Löhnen, unzureichendem Schutz vor arbeitsbezogenen Risiken und unfairen Managementpraktiken konfrontiert sind.

Die Studie untersuchte die Arbeitsbedingungen bei neun der meist genutzten globalen Übersetzungs- und Transkriptionsplattformen (Translated, TranscribeMe, Gengo, Lionbridge, Scribie, TransPerfect, GoTranscript, SmartCat und Rev). Zu den Kunden dieser Plattformen gehören globale Unternehmen (Airbnb, L'Oreal, Spotify, Netflix, Google und Facebook) und renommierte amerikanische Universitäten (Princeton University, University of California in Berkeley, University of Washington und Yale University).  Anhand von fünf Prinzipien für faire Arbeit wurden die Plattformen mit einer Punktzahl zwischen eins und zehn bewertet.

Die Untersuchung belegt erhebliche Unterschiede in den Arbeitsbedingungen auf den bewerteten Plattformen und kommt zu folgendem Ranking:

  • Translated:       8/10
  • TranscibeMe:   7/10
  • Gengo:             2/10
  • Lionbridge:       2/10
  • Scribie:            1/10
  • GoTranscript:   0/10
  • Rev:                 0/10
  • SmartCat:        0/10
  • TransPerfect:   0/10

Die beiden in der Rangliste führenden Plattformen Translated und TranscribeMe konnten nachweisen, dass sie grundlegende Arbeitsstandards bezüglich fairer Bezahlung, fairer Arbeitsbedingungen, fairer Arbeitsverträge und fairer Management-Prozesse sicherstellen. Weit hinter diesen beiden Plattformen teilen sich die beiden Übersetzungsplattformen Gengo und Lionbridge den dritten Platz. Für diese Plattformen konnten die Fairwork-Forschenden nachweisen, dass sie grundlegende Arbeitsstandards bei zwei der fünf Fairwork-Prinzipien erfüllen. Einen Punkt erhielt die Transkriptionsplattform Scribie für grundlegende Standards im Bereich faire Management-Prozesse. Vier Plattformen landeten mit null Punkten ganz unten in der Rangliste. Für diese Plattformen konnten die Forschenden keine ausreichende Evidenz für die Einhaltung grundlegender Arbeitsstandards finden.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie:
  • Faire Bezahlung: Nur vier der neun bewerteten Plattformen (Translated, TranscribeMe, Gengo und Lionbridge) konnten nachweisen, dass ihre Arbeiterinnen und Arbeiter für alle erbrachten Dienstleistungen pünktlich bezahlt werden. Translated konnte außerdem belegen, dass die überwiegende Mehrheit der Übersetzer*Innen auf der Plattform ein Einkommen erzielt, das dem jeweils lokalen Mindestlohn entspricht oder diesen sogar übersteigt.
  • Faire Bedingungen: Drei der neun bewerteten Plattformen (Translated, TranscribeMe und Lionbridge) konnten nachweisen, dass sie Maßnahmen ergreifen, um das Angebot und die Nachfrage nach Arbeitskräften auszugleichen und/oder die Verteilung von Aufträgen aktiv zu steuern, um so übermäßiger Konkurrenz und unbezahlter Arbeit (z. B. in Form von Bewerbungen für Aufträge) vorzubeugen. Translated und TranscribeMe konnten darüber hinaus belegen, dass sie Maßnahmen ergreifen, um Übersetzer*innen und Transkriptionist*innen vor arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken zu schützen. Als größtes Risiko zeigte sich dabei in der Studie pyschologischer Stress auf Grund von verstörenden oder sensiblen Inhalten von Audio- und Textdateien, wie beispielsweise Darstellungen von Gewalt.
  • Faire Verträge: Nur für zwei der neun untersuchten Plattformen (Translated und TranscribeMe) fanden die Forschenden klar und verständlich formulierte Verträge und/oder Nutzungsbedingungen, die außerdem keine unfairen Klauseln enthalten.
  • Faires Management: Vier der neun bewerteten Plattformen (Translated, TranscribeMe, Gengo und Scribie) konnten einen formalisierten Prozess nachweisen, mittels dessen Arbeitskräfte Einspruch gegen Plattform-Entscheidungen einlegen können, beispielsweise im Bezug auf unfaire negative Bewertungen. Zudem konnten sie belegen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter Erklärungen für alle Plattformentscheidungen erhalten. Darüber hinaus haben Translated und TranscribeMe Richtlinien eingeführt, um Diskriminierung vorzubeugen.
  • Faire Repräsentation: Keine der untersuchten Plattformen konnte ein Verfahren zur Streitbeilegung nachweisen, bei dem Arbeitskräfte durch eine unabhängige und selbstgewählte dritte Instanz vertreten werden. Die Fairwork-Studie fand außerdem für keine der Plattformen ausreichende Evidenz für einen kollektiven Dialog oder kollektive Verhandlungen mit Gewerkschaften oder anderen Arbeiter*innen-Verbänden.  

„Prekarität ist nicht automatisch ein Merkmal von Plattformarbeit, sondern wird durch konkrete Geschäftsmodelle und Praktiken der Unternehmen hervorgebracht“, erklärt WZB-Forscherin Tatiana López. „Die großen Unterschiede im Ranking der verschiedenen Plattformen zeigen: Online-Plattformen haben die Wahl und die Macht, Arbeitsbedingungen besser oder schlechter zu gestalten“, kommentiert Patrick Feuerstein vom WZB, der gemeinsam mit Tatiana López die Studie geleitet hat.

Weitere Informationen und Kontakt

Pressemitteilung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB)