Auf der Suche nach dem „Goldenen Nagel“
Weltweit suchen Forschende noch nach dem „Golden Spike“ des Anthropozäns – einem geologischen Marker, der den Beginn einer Epoche festlegt. Mikroplastik könnte eine entscheidende Rolle dabei spielen.
28.01.2021 · Umweltwissenschaften · Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde an der Universität Rostock · News · Forschungsergebnis
In einem kürzlich erschienenen Diskussionspapier beleuchten Juliana Ivar do Sul und Matthias Labrenz, Umweltwissenschaftler:innen am Leibniz-Institut für Ostseeforschung, das Thema “Mikroplastik” mal unter einem geologischen Blickwinkel: Mithilfe der mittlerweile omnipräsenten Plastikpartikel könnte sich in Geo-Archiven wie Sedimentkernen der Beginn einer neuen geologischen Epoche, dem Anthropozän, erfassen lassen. Mehr noch: an einem geeigneten Ort könnte mithilfe des Mikroplastiks der Goldene Nagel (Golden Spike), mit dem definitionsgemäß in der Geologie der Beginn einer Epoche dokumentiert wird, festgelegt werden.
Es hat sich stillschweigend eingebürgert: Journalisten und Politiker reden gerne vom Anthropozän, wenn sie unterstreichen wollen, wie stark unsere heutige Welt von Menschen beeinflusst ist. Dabei greifen sie auf eine Terminologie zurück, die aus der Geologie stammt. Die auf –zän endenden Zeitabschnitte, in die die Erdgeschichte unterteilt ist, sind die sogenannten “Epochen” oder “Systeme”, die sich über klar definierte Grenzen weltweit feststellen lassen. Aus geologischer Sicht ist jedoch der aktuelle Abschnitt der Erdgeschichte immer noch das Holozän. Allerdings sammelt eine international besetzte Arbeitsgruppe, die “Anthropocene Working Group (AWG)”, seit Jahren Informationen für eine methodisch korrekte Abgrenzung und diskutiert weltweit in der geowissenschaftlichen Gemeinschaft, durch welche Marker die neue Epoche festzulegen sei.
Die Warnemünder Autoren fassen die derzeitige Diskussion der AWG und aktuelle Fachliteratur zum Thema zusammen und unterstreichen insbesondere die Bedeutung von Mikroplastik in dem Entscheidungsprozess. Juliana Ivar do Sul, seit 2015 Mitglied der AWG, berichtet: „Es herrscht bereits Übereinstimmung, dass der primäre Marker für das Anthropozän die künstlichen Radionuklide sind, die durch die Atombombenzündungen in den 1940er und 1950er Jahren freigesetzt wurden. Wir sammeln aber noch Hinweise auf geeignete Hilfsmarker, die eine weltweite Korrelation unterstützen.“ In der vorliegenden Studie zeigen Ivar do Sul und ihr Kollege Matthias Labrenz auf, dass sich Mikroplastik ähnlich gut für stratigraphische Zonierungen nutzen lässt, wie Fossilien in der Biostratigraphie.
Erst im letzten Jahr hatten die Wissenschaftler:innen aus Warnemünde in einer großen Übersichtsstudie aufgezeigt, dass Plastik in der marinen Umwelt durch Mikroorganismen nicht zersetzt werden kann. Die Folge ist, dass es für sehr lange Zeit in den Meeren bleibt. Diese ökologisch negativen Eigenschaften machen Mikroplastik jedoch zu einem geeigneten Technofossil und Hilfsmarker für den Beginn des Anthropozäns.
Neben guten Hilfsmarkern fehlt aber auch noch eine Typlokalität für das Anthropozän– ein Ort, der die fragliche Grenze als physikalisches Referenz-Niveau enthält und als „Golden Spike“ – der goldene Nagel, der die Grenze markiert, bezeichnet wird. Das sind üblicherweise geologische Profile in marinen Sedimentgestein – aber auch Eiskerne. Beispiel Holozän: Bei dem Golden Spike, der den Beginn des Holozäns markiert, einigte man sich auf die abrupten Veränderungen der Deuterium-Überschuss Werte, die in einem grönländischen Eiskern in 1.492 m Tiefe gefunden wurden. Sie zeigen relativ wärmere Wasseroberflächentemperaturen im Meer und damit das Ende des Eiszeitalters an.
Für den „Golden Spike“ des Anthropozäns wird weltweit noch nach geeigneten Kandidaten gesucht. Auch die Meeresbodenablagerungen in den „toten Zonen“ der zentralen Ostsee sind noch im Rennen. Juliana Ivar do Sul: „Wir finden dort relativ ungestörte Sedimentpakete vor. Wir können die Radionuklide nachweisen, die den Beginn der Atombombentests anzeigen und auch der Nachweis von Mikroplastik ist in den fraglichen Schichten möglich. Es spricht also sehr viel dafür, den „Golden Spike“ in der Ostsee zu verorten.“
Originalpublikation
Ivar do Sul, J. A. and M. Labrenz (2021). Microplastics into the Anthropocene. In: Handbook of Microplastics in the Environment. Ed. by T. Rocha-Santos, M. Costa and C. Mouneyrac. Cham: Springer International Publishing (Springer eBook Collection: Chemistry and Materials Science, SpringerNature-11644): https://doi.org/10.1007/978-3-030-10618-8_25-2