
Hamster wollen unerkannt bleiben

Haushalte, die wegen Corona Vorräte anlegen, bekennen sich nur selten dazu. Besonders beim Toilettenpapier fallen Umfrageaussagen und Kaufverhalten auseinander.
11.05.2020 · Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften · News · Forschungsergebnis · Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE
Eine aktuelle Analyse des SAFE Haushaltskrisenbarometers in Verbindung mit Daten zum Kaufverhalten zeigt, dass Haushalte, die Vorräte anlegen („hamstern“), sich in Umfragen nicht dazu bekennen. Für die Analyse haben Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE und des Lehrstuhls für Finanzen und Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt zusammen mit Kooperationspartnern von Nielsen-Frankfurt Ergebnisse einer Umfrage zur Bevorratung unter knapp 8.900 Haushalten des Nielsen Consumer Panel zwischen dem 20. und 30. März 2020 mit dem tatsächlichen Einkaufsverhalten des gleichen Panels im März verglichen. Das Ergebnis: Lediglich 30% der Haushalte gaben an, sich überhaupt bevorratet zu haben. Dabei stiegen von Februar auf März die Ausgaben für Fertiggerichte, Nudeln und Papierhygieneprodukte nicht nur für diese kleine Gruppe, sondern auch quer durch die gesamte Bevölkerung stark an (Tabelle 1). Bei Nudeln haben Haushalte, die angeblich nicht bevorratet haben, ihre Ausgaben sogar noch deutlicher erhöht (um 53%) als Haushalte, die zugaben bevorratet zu haben (43%).
Umfrageaussagen und Kaufverhalten fallen besonders beim Toilettenpapier auseinander: Während nur 12% der Haushalte angaben, Toilettenpapier zur Bevorratung gekauft zu haben, stiegen die Ausgaben von Februar auf März um deutlich über 50% an – und zwar auch bei all denjenigen Haushalten, die angaben, generell keine Bevorratung betrieben zu haben.
Roman Inderst, Professor für Finanzen und Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt, hält es für möglich, dass Haushalte, die im März deutlich mehr gekauft haben als im Februar, dies nicht als besondere Bevorratung wahrgenommen haben. „Die erhebliche Diskrepanz zwischen den beobachteten Veränderungen im Warenkorb und der Antwort auf die Frage, ob ein Haushalt sich bevorratet hat, legt allerdings nahe, dass viele Haushalte sich nicht gerne in der Bevorratungsrolle sehen“, so Inderst. Dieses Phänomen trifft nicht nur auf Deutschland zu: „Wir sehen auch in anderen europäischen Ländern, wie z.B. der Schweiz und Frankreich, dass die Zahl der Haushalte, die angeben sich zu bevorraten, deutlich niedriger ist als der Anteil derer, die tatsächlich ihre Ausgaben für Lebensmittel und Drogerieartikel gesteigert haben“, so Alexander Proske von Nielsen.
Haushalte in ostdeutschen Bundesländern finden Presseberichterstattung zunehmend übertrieben
Die Ergebnisse der jüngsten Umfrage des Haushaltskrisenbarometers von SAFE, Goethe-Universität und Nielsen-Frankfurt vom 17. bis zum 24. April belegen, dass sich Ost- und Westdeutsche in ihrer Einstellung zur Corona-Krise auseinanderentwickeln. Während die Zahl der Haushalte, die die Presseberichte zur Krise völlig übertrieben finden, in Sachsen und Thüringen auf der einen und Baden-Württemberg auf der anderen Seite Ende März noch übereinstimmend bei knapp einem Viertel lag, ist dieser Anteil in den beiden ostdeutschen Bundesländern nun auf 40% gestiegen, während er sich in Baden-Württemberg kaum verändert hat.
Ähnlich unterschiedlich ist die Bereitschaft in Ost und West verbreitet, die Öffentlichkeit zu meiden. Diese geht zwar im gesamten Bundesgebiet zurück, in den östlichen Bundesländern allerdings deutlich stärker. So geben in Sachsen und Thüringen aktuell nur noch 55% der Haushalte an, die Öffentlichkeit zu meiden – im Vergleich zu 74% Ende März. In Baden-Württemberg sind es dagegen 68% nach 80% Ende März.
Diese Unterschiede lassen sich nicht allein durch unterschiedlich hohe Corona-Fallzahlen erklären. Zwar haben Sachsen oder Thüringen nur rund ein Drittel so viele amtlich registrierte Corona-Fälle pro 100.000 Einwohner wie Baden-Württemberg, jedoch sind auch die Unterschiede zwischen östlichen und westlichen Ländern mit vergleichbareren Fallzahlen sehr markant.
Über die Kooperation
Das Haushaltskrisenbarometer wird getragen von einer Kooperation des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE, Nielsen-Frankfurt und dem Lehrstuhl für Finanzen und Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt. Aktuell werden alle zwei Wochen den Haushalten des Nielsen Consumer Panel Fragen gestellt. Die hohe Zahl der kontinuierlich befragten Haushalte, die hohe Zahl der Antworten (stets über 7.000 Haushalte) und die Möglichkeit, die Antworten mittels statistischer Verfahren repräsentativ zu machen, ergeben ein belastbares und zeitnahes Bild der wirtschaftlichen Lage, des (Konsum-)Verhaltens und der Erwartungen der gesamten Bevölkerung. Das Nielsen Consumer Panel erlaubt es auch, Umfrageergebnisse mit dem tatsächlichen Kaufverhalten zu verknüpfen, um weitere Analyse oder Vergleiche anzustellen. So kann damit analysiert werden, wie sich die erfragten Einkommensschocks bei den einzelnen Haushalten auch im Warenkorb niederschlagen.
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