Künstliche Intelligenz füttert natürliche Gehirne

Der Leibniz-Forscher Daniele Di Mitri ist zum KI-Newcomer 2021 gewählt worden.

17.02.2021 · Geisteswissenschaften und Bildungsforschung · DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation · News · Menschen · HP-Topnews

Wie kann Künstliche Intelligenz in der Bildung eingesetzt werden? Damit beschäftigt sich Daniele Di Mitri am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. (Update: Im April ist Di Mitri zum KI-Newcomer 2021 gewählt worden, ausgeschrieben von der Gesellschaft für Informatik.) Ein Gespräch über Lernen auf Distanz, digitalen Unterricht über Videokonferenzen hinaus und warum wir Künstliche Intelligenz nicht nur dafür nutzen sollten, uns die passenden Filme oder Werbung anzeigen zu lassen.

Interview: Christoph Herbort-von Loeper

Leibniz: Digitalisierung in der Bildung ist gerade in der Pandemie ein heiß diskutiertes Thema. Dabei geht es eher um die Überwindung räumlicher Distanz. Ihr Forschungsbereich Künstliche Intelligenz wird dabei kaum diskutiert, warum?

Daniele Di Mitri: Die Debatte ist sehr stark auf die Überwindung räumlicher Entfernung fokussiert und das Distanzlernen oft auf recht einfache Formen des digitalen Unterrichts beschränkt, wo die Schülerinnen und Schüler als überwiegend passive Zuschauer einer Videokonferenz folgen. Bevor wir über Künstliche Intelligenz in der Bildungspraxis reden, sollten die Potenziale der digitalen Bildung im Distanz- oder Wechselunterricht besser ausgeschöpft werden, etwa mit kollaborativen Online-Formaten, der Nutzung von e-learning-Plattformen oder auch asynchrone Diskussionen über Online-Foren.

Wo sehen Sie realistische Anwendungsszenarien zwischen Grundschule und beruflicher Weiterbildung?

Ironischerweise wird KI in der Bildung bislang nur dafür genutzt, um Plagiate aufzuspüren, dabei gibt es so viele produktivere Möglichkeiten. KI kann Lehrerinnen und Lehrer dabei unterstützen, relevante Quellen für ihren Unterricht zu finden, Chatbots können sowohl zur Beantwortung von Fragen als auch zum Abrufen von Informationen sowie zur Unterstützung des Wohlbefindens der Schüler verwendet werden. Denkbar sind auch automatische Zusammenfassungen von Inhalten, das Umwandeln von Text in Lern-Podcasts, die räumlich flexibel gehört werden können oder grundlegende Korrekturen von Essays in Fragen von Rechtschreibung und Grammatik. Noch etwas weiter in die Zukunft blickend, kann ich mir intelligente Tutorensysteme vorstellen, die sich an das Lernniveau anpassen und so individuell maßgeschneiderte Aufgaben und Feedback etwa in Mathe oder Statistik liefern.

KI in der Schule – das dürfte bei vielen Eltern Horrorvorstellungen hervorrufen. Können Sie sie beruhigen?

Ich kann Ängste durchaus verstehen, die mit neuen Technologien zusammenhängen. Auch bei der Einführung des Fernsehens befürchteten viele Menschen das Ende der Bildung. Es ist aber doch so, dass wir schon heute viele KI-basierte Anwendungen ganz selbstverständlich nutzen, wenn wir etwa bei Netflix oder Spotify individuell passende Programme vorgeschlagen bekommen, oder Siri, Alexa und Co. verwenden. Natürlich gibt es Negativbeispiele etwa für Datenmissbrauch – neue Technologien haben immer positive und negative Effekte ‑ und Datenschutz muss ein wichtiger Faktor sein, aber andererseits: Warum nutzen wir die Möglichkeiten der KI nicht für etwas Sinnvolleres als Werbung? Ausschlaggebend für unsere Beurteilung sollten die pädagogischen Konzepte sein, die wir mit KI unterstützen.

Viele Schulen in Deutschland stoßen schon mit Distanzlernen an ihre (technischen) Grenzen. Wie realistisch ist die praktische Implementierung von KI?

Die Schulen – Lehrende und Schüler – wurden durch die Corona-Pandemie mit einer riesigen Herausforderung konfrontiert, die die bisherigen Unterrichtsformen fast von jetzt auf gleich über den Haufen geworfen haben. Ich mache den Lehrerinnen und Lehrern deswegen überhaupt keine Vorwürfe, wenn es um den Zustand der digitalen Bildung geht. Sie tun wirklich alles, was sie können, um mit der Situation umzugehen. Wir brauchen – völlig unabhängig von KI – nicht nur in Deutschland ein umfassendes Konzept für eine digitale Lerninfrastruktur: funktionierende Lernmanagementsysteme, sichere Cloud-Speicher für Lehrende und Lernende, E-Mailadressen für alle Schülerinnen und Schüler für eine sichere Kommunikation, einen Verzicht auf nicht verifizierte Apps, um ihre Daten zu schützen sowie deutlich mehr IT-Expertinnen und -Experten in den Schulen. In der Wirtschaft rechnet man grob mit einem IT-Experten pro 30 Beschäftigte; das hieße für Schulen ein IT-Experte pro Klasse.

Wo wollen Sie in zehn Jahren mit Ihrer Forschung stehen?

Die Entwicklung der KI geht so schnell voran, dass wir in zehn Jahren vermutlich Möglichkeiten haben werden, die wir uns heute kaum vorstellen können. Ich erwarte vor allem, dass hybride Systeme, wo Mensch und Maschine zusammenarbeiten, sich deutlich mehr verbreitet haben. Meine Hoffnung ist, dass wir empirische Daten dafür gesammelt haben, um die Politik zu beraten, wo KI in der Bildung sinnvoll eingesetzt werden kann. Multi-modale Tutoren, die auch durch den Einsatz von Virtual Reality eine Hilfestellung beim Erlernen praktischer, nicht nur theoretischer Fertigkeiten leisten können. Es gibt aber sowohl auf technischer wie pädagogischer Seite noch viele offene Forschungsfragen. Etwa wie das Feedback der KI auf die Lernenden aussehen sollte: Darf sie zum Beispiel Fehler zulassen, aus denen man lernen kann oder soll sie schon vorher unterbrechen? Zu diesen Aspekten möchte ich gerne wissenschaftlich beitragen.

Daniele Di Mitri stammt aus Bari in Italien. Als Sohn einer Lehrerin und eines Software-Entwicklers wurde früh der Grundstein für sein heutiges Forschungsgebiet gelegt: Bildung und Technologie. Mit 19 gründete er eine Webentwicklungsfirma und begann ein Informatikstudium. Nach einem Master in Künstlicher Intelligenz in den Niederlanden, folgte eine Beschäftigung in der Forschungsabteilung von IBM und die Promotion zum Thema Multimodale Tutoren. Seit 2020 ist Daniele Di Mitri Gruppenleiter im Arbeitsbereich Educational Technologies des DIPF.