
Licht und Leinwand

Eine große Sonderausstellung geht dem wechselvollen Verhältnis zwischen Malerei und Fotografie im 19. Jahrhundert nach. Viele der 260 Werke sind erstmals zu sehen.
10.07.2018 · HP-Topnews · Germanisches Nationalmuseum · Projekte · Geisteswissenschaften und Bildungsforschung
Bild: Lovis Corinth: Charlotte Berend-Corinth, 1912. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg/Dauerleihgabe der Stadt Nürnberg
„Licht und Leinwand. Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert“
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Bis 9. September 2018
Wer ist ein Künstler? Nur der Maler, der zu Leinwand und Pinsel greift? Oder auch der Fotograf, der mit wesentlich geringerem (Zeit-)Aufwand ein Motiv realitätsnah wiederzugeben vermag? Mit rund 260 Exponaten geht die große Sonderausstellung „Licht und Leinwand“ dem spannenden und wechselvollen Verhältnis zwischen Malerei und Fotografie im 19. Jahrhundert nach. Sie umfasst den Zeitraum von den 1840er bis in die 1910er Jahre, vom Beginn der Fotografie bis zu dem Moment, als sie erstmals als Kunstform anerkannt wird.
„Neben diesen grundlegenden kulturgeschichtlichen Fragen wirft die Ausstellung auch einen neuen Blick auf den Gemäldebestand des Germanischen Nationalmuseums zum späten 19. Jahrhundert“, betont Generaldirektor Prof. Dr. G. Ulrich Großmann, „denn viele der Werke sind jetzt erstmals zu sehen.“
Es ist ein chemisch-physikalisches Phänomen, das mit Nachdruck auf die Kunst des 19. Jahrhunderts einwirkt: die Fotografie. Mit ihr verbanden sich Hoffnungen, Skepsis und Sorgen, sie rief Künstlerstolz, aber auch Existenzängste hervor. Als alles veränderndes Datum gilt 1839, das Jahr, in dem die Daguerreotypie in Paris erstmals öffentlich vorgeführt wird. Das Verfahren ist zwar aufwendig, dennoch wird diese frühe fotografische Technik marktfähig, weil es erstmals gelingt, das Bild dauerhaft auf der Platte zu fixieren.
Fortschritt durch Technik
Die aus dem Boden schießenden Fotoateliers werden zunächst von Malern betrieben. In der Ausstellung sind frühe Daguerreotypien großformatigen Gemälde-Porträts gegenübergestellt. Die motivische Nähe, die Schnelligkeit und der günstige Preis schüren bei Malern Ängste, die neue Technologie könne ihre Existenz bedrohen.
Auch das Reisen wird im 19. Jahrhundert dank Eisenbahn und Dampfschiff einfacher. Ansichten fremder Landschaften, Bauwerke und Kulturgüter, wie sie beispielsweise Leopold Carl Müller in Ägypten malt, erfreuen sich großer Beliebtheit. Doch die Fotografie macht ihm Konkurrenz. Das neue Kollodium-Nassplatten-Verfahren verfügt über die ungeheure Tiefenschärfe der Daguerreotypie, zusätzlich über die Möglichkeit, mehrere Papierabzüge nach den Glas-plattennegativen anzufertigen.
In der Ausstellung faszinieren die Aufnahmen aus den 1860er Jahren von Francis Frith von den Pyramiden von Gizeh oder von Kairos Totenstadt. Mit der Stereokamera aufgenommene Reise-Motive bieten zusätzlich die Sensation eines räumlichen Seheindrucks, was Besucher an einem Hand-Stereoskop über-prüfen können.
Doch die Konturschärfe und quasi-dokumentarische Präzision der Fotografie ruft auch Kritik hervor. Die Fotografie könne lediglich Abbilder der Wirklichkeit schaffen. Die Malerei dagegen vermöge tiefer zu gehen und die Wahrheit aufzuzeigen. Mit Carl Spitzweg, Johann Friedrich Voltz oder Eduard Schleich mit seinem eindrucksvollen Gemälde „Aufziehendes Gewitter“ sind exzellente Vertreter dieses Realismus in der Ausstellung zu sehen.
Die Fotografie zieht nach. Henry Peach Robinson appelliert an seine Fotografen-Kollegen, sich an den Prinzipien der Malerei zu schulen. Er beginnt, verschiedene Glasplatten miteinander zu kombinieren: Ähnlich den akademisch geschulten Landschaftsmalern setzt er Naturausschnitte und Himmel aus unterschiedlichem Kontext neu zusammen und retuschiert die Übergänge mit dem Pinsel. Mit diesen Kombinationsdrucken erzielt er um 1865 ungemein stimmungsvolle „malerische“ Effekte.
Objektivität der Linse
Die Fotografie besticht jedoch vor allem mit Objektivität. Schnelle Bewegungs-abläufe können in der Chronofotografie mittels seriell geschalteter Kameras in einzelne Fragmente zerlegt werden. Berühmt sind Beispiele von Eadwaerd Muybridge, dem es als erstem gelingt, den Galopp eines Pferdes oder den Flügelschlag eines Vogels im Flug in Einzelbildern festzuhalten. Die bis dahin in der Kunst vorherrschende Auffassung, ein Pferd strecke im Galopp alle vier Hufe von sich, ist damit als optische Täuschung entlarvt. Die Fotografie wird zum Korrektiv alter Sehgewohnheiten, die sich als unwahr erweisen.
Ende des 19. Jahrhunderts arbeitet die Mehrheit der Maler bereits unter Zuhilfenahme von Fotografien. Groß ist die Bildauswahl, nach der Franz von Lenbach seine Bismarck-Porträts fertigt. Die fotografischen Vorlagen sind ihm lediglich Mittel zum Zweck, wovon die zahlreichen Gebrauchsspuren zeugen.
„Kommerziell vertriebene Vorlagenmappen von Männer- bzw. Frauenakten werden auch an Kunstakademien eingesetzt“, hebt Kuratorin Dr. Leonie Beiersdorf hervor. Sie liefern gleich mehrere Haltungsvarianten und sind kostengünstiger als ein lebendes Modell. Lovis Corinth verkehrt das Prinzip ins Gegenteil: Wie ein Schnappschuss wirkt sein Gemälde eines Modells, das er während einer Malpause bewusst in einer „Nicht-Pose“ festhält.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert kommt das neue Verfahren des Gummidrucks auf. Es erlaubt größere Formate, weiche Konturen und zudem mehr farbige Drucke. Alfred Stieglitz und Heinrich Kühn zitieren beispielsweise moderne Gemälde von Max Liebermann und Fritz von Uhde: holländische Motive mit Wäscherinnen, deren Tätigkeit des Waschens und Bleichens im Sonnenlicht die technischen Schritte des Gummidrucks – Belichten und Waschen – spiegelt.
Die erneut virulente Konkurrenz zwischen beiden Bildmedien findet vor dem Hintergrund eines neu erblühten Künstlerkults statt. Auf Selbstbildnissen insze-nieren sich zahlreiche Maler als entrückte Bohemiens, Malerfürsten und Genies. Fotografen dagegen nehmen bei Selbstbildnissen die Kamera mit ins Bild, experimentieren spielerisch mit Mehrfachbelichtungen und optischen Effekten. Ihr Weg wird fortan ein eigener sein.
Die Fotobox
Die Fotografie hat ihren Siegeszug fortgesetzt. Heute ist sie aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Das Smartphone wird öfter zum Fotografieren als zum Telefonieren genutzt, insbesondere die Selbstinszenierung hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Ihren Ausgang nahm sie im 19. Jahrhundert. Eine Fotobox stellt in der Ausstellung die einstigen Umstände bei Aufnahmen mit einer Plattenkamera nach. Besucher müssen 15 Sekunden still sitzen, wenn sie ein scharfes Bild von sich haben möchten. Man muss Geduld aufbringen – wie früher – bis man das Ergebnis sehen kann. Hier kann der Besucher den aufregenden Charme der damals noch jungen Technik noch einmal erleben und mit den Möglichkeiten der Unschärfe spielen.
Kontakt
Dr. Sonja Mißfeldt
Leiterin des Referats Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 09 11 13 31-103
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