Macht ohne Muskeln
Im Tierreich hat oft der körperlich Stärkere das Sagen. Nicht so bei den Tüpfelhyänen. Hier dominieren die Weibchen, weil sie mehr soziale Unterstützung erhalten als ihre männlichen Artgenossen.
20.11.2018 · Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung · News · Forschungsergebnis · Lebenswissenschaften
Tüpfelhyänenweibchen gelten als Paradebeispiel für mächtige und aggressive Weibchen. Sie sind schwerer als die Männchen, haben stark vermännlichte äußere Genitalien („Pseudohoden“ und einen „Pseudopenis“) und nehmen in der Regel die höchste Position in der Gesellschaft ein. Doch laut der neuen Studie ist es nicht ihre Männlichkeit, die sie ihre männlichen Artgenossen dominieren lässt. „Wenn zwei Hyänen streiten, gewinnt diejenige, die auf mehr soziale Unterstützung zählen kann – unabhängig von Geschlecht, Gröβe oder Aggressivität“, erklärt Oliver Höner, Leiter des Ngorongoro-Hyänenprojektes des Leibniz-IZW. Dies gelte für nahezu alle Auseinandersetzungen in allen denkbaren Kontexten – zwischen im Clan geborenen und zugewanderten Hyänen, zwischen Tieren aus demselben oder verschiedenen Clans und zwischen Individuen gleichen sowie verschiedenen Geschlechts. Die Dominanz der Weibchen liegt also darin begründet, dass sie auf größere soziale Unterstützung zählen können als die Männchen. „Faszinierenderweise wirkt soziale Unterstützung auch dann, wenn keine anderen Hyänen anwesend sind oder sich niemand einmischt“, sagt Colin Vullioud vom Leibniz-IZW. „Letztlich ist das Selbstbewusstsein entscheidend, also wie sicher sich jede Hyäne ist, Unterstützung zu erhalten, wenn sie diese braucht.“
Für die Studie werteten die WissenschaftlerInnen 4.133 Auseinandersetzungen zwischen 748 Tüpfelhyänen aus den acht Clans des Ngorongoro-Kraters in Tansania über einen Zeitraum von 21 Jahren aus. Um die Anzahl möglicher Unterstützer zweier Kontrahenten zu ermitteln, entwickelten sie einen Algorithmus, der für jedes Clanmitglied bestimmte, welchen der beiden Kontrahenten es unterstützen würde. Der Algorithmus beruht auf vielen Beobachtungen von aktiver Unterstützung und auf den Verwandtschaftsgraden aller Clanmitglieder zueinander. Der genetische Stammbaum der Tüpfelhyänen des Ngorongoro-Kraters gehört zu den umfassendsten Stammbäumen wildlebender Säugetierpopulationen. „Um die Effekte von sozialer Unterstützung und individuellen Eigenschaften zu trennen, mussten wir jeden Effekt einzeln bewerten und dabei die Effekte aller anderen Faktoren berücksichtigen“, erklärt François Rousset vom ISEM, der statistische Methoden für diese Art von Analysen entwickelt hat. „Dabei zeigte sich, dass der Einfluss von Geschlecht und Körpergewicht auf den Ausgang von Auseinandersetzungen vernachlässigbar ist.“
Männliche und weibliche Hyänen können sich durchschnittlich in den meisten Situationen auf gleich groβe soziale Unterstützung verlassen und dominieren daher gleich viele Auseinandersetzungen mit dem anderen Geschlecht. Die einzige Ausnahme: wenn im Clan geborene Tiere mit zugewanderten Tieren interagieren. „Die Hyänengesellschaft ist stark von Vetternwirtschaft geprägt, unterstützt werden also in erster Linie nahe Verwandte. Einheimische Clanmitglieder leben mit ihren Angehörigen zusammen und haben einen Vorteil gegenüber Zugewanderten, denn diese verlieren ihre sozialen Bande, wenn sie ihren angestammten Clan verlassen“, erläutert Eve Davidian vom Leibniz-IZW. „Und weil die meisten Einwanderer Männchen sind, dominieren bei solchen Auseinandersetzungen fast immer die Weibchen.“ Das Ausmaβ der Weibchen-Dominanz bei Tüpfelhyänen hängt also von der Migrationsneigung der beiden Geschlechter und der demographischen Struktur der Clans ab. Wenn ein Clan einen hohen Anteil zugewanderter Männchen aufweist, ist die Herrschaft der Weibchen fast absolut. Gibt es viele einheimische Männchen, gewinnen Männchen statistisch ebenso häufig Auseinandersetzungen wie Weibchen und die Geschlechter sind gleichermaβen dominant.
„Zu wissen, was soziale Dominanz und Geschlechterhierarchien verursacht, hilft uns, besser zu verstehen, wie Reproduktionsstrategien, Geschlechterrollen und Geschlechterkonflikte entstehen“, schließt Alexandre Courtiol vom Leibniz-IZW. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Dominanz eines Geschlechts keine direkte Folge des Geschlechts oder geschlechtsspezifischer individueller Eigenschaften sein muss, sondern vom sozialen Umfeld abhängen kann.“ Indem die Wissenschaftler die Schlüsselrolle von sozialer Unterstützung für die Entstehung von Dominanz aufzeigen, tragen sie zu einem vertieften Verständnis für die sozialen Auswirkungen von Vetternwirtschaft, politischen Allianzen sowie von Migration in tierischen und menschlichen Gesellschaften bei.
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