Meilenstein in der Tuberkuloseprävention
Mithilfe einer neuen Software können Ärzte weltweit das individuelle Risiko einer Tuberkuloseerkrankung vorhersagen – und im Anschluss entscheiden, ob eine Präventionsbehandlung sinnvoll ist.
22.10.2020 · Lebenswissenschaften · Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum · News · Forschungsergebnis
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Dr. Rishi Gupta von dem University College in London hat eine neue Software entwickelt, die anhand eines validierten Modells das individuelle Risiko einer Tuberkuloseerkrankung berechnet. Diese Applikation könnte bei der Entscheidungsfindung, ob eine langwierige TB-Präventionsbehandlung eingeleitet werden sollte in Zukunft von enormer Bedeutung sein. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden nun in der renommierten Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlicht. Auch Wissenschaftler*innen des Forschungszentrums Borstel, Leibniz Lungenzentrum (FZB) und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) waren an dieser Arbeit beteiligt.
Die Tuberkulose ist die häufigste zum Tod führende Infektionskrankheit weltweit. Die Übertragung der Tuberkulosebakterien von Mensch-zu-Mensch erfolgt über Tröpfchen, die von erkrankten Patienten ausgehustet und auf diesem Wege von Kontaktpersonen eingeatmet werden. Vor allem kleine Kinder, immungeschwächte Personen und Personen aus Ländern, in denen die Tuberkulose häufig vorkommt, haben ein erhöhtes Risiko an einer Tuberkulose zu erkranken.
Ob man sich bereits mit Tuberkulosebakterien angesteckt hat, kann mit Immuntest untersucht werden. Diese Tests können die Infektion selber nicht nachweisen. Sie geben nur indirekt darüber Auskunft, ob im Körper Abwehrzellen gebildet worden sind, die sich gegen Tuberkulosebakterien oder einzelne Bestandteile der Tuberkulosebakterien richten. Die häufigsten Tests sind der Tuberkulin-Hauttest und sog. Interferon-gamma release assays (IGRAs). Ist bei einer Person aus den genannten Risikogruppen ein Test positiv, kann durch eine vorsorgliche Behandlung mit einem Antibiotikum die Entstehung einer Tuberkulose verhindert werden.
Leider sind die Immuntests nicht sehr genau und die meisten Personen, die ein positives Testergebnis haben, erkranken auch ohne vorsorgliche Antibiotika-Behandlung nicht an einer Tuberkulose. Das Risiko zu erkranken, hängt von vielen Faktoren ab: Hierzu gehört die Intensität des Kontakts zu einer erkrankten Person, das Alter und die Herkunft der Kontaktperson und auch wie deutlich das Testergebnis ausfällt. Zum Beispiel haben Kleinkinder mit einem positiven Testergebnis ein deutlich höheres Risiko, eine Tuberkulose zu entwickeln, als Erwachsene Kontaktpersonen. Wie hoch das Risiko der Entwicklung einer Tuberkulose im Einzelfall ist konnte bislang nicht vorhergesagt werden.
Eine Internationale Forschergruppe um Dr. Rishi Gupta und Professor Ibrahim Abubakar vom University College in London hat Daten von 80.468 Personen aus 20 Ländern zusammengetragen, von denen Informationen zum Auftreten einer Tuberkulose in den 5 Jahren nach Testung mit einem Tuberkulin-Hauttest oder IGRA vorliegen. Die Informationen fließen in eine frei zugängliche Internet-Applikation mit denen Ärzt*innen weltweit das individuelle Risiko für das Auftreten einer Tuberkulose bei ihren Patient*innen vorhersagen können. Das Programm errechnet, wie hoch das Risiko für das Auftreten einer Tuberkulose im individuellen Fall in den kommenden Jahren ist und wie hoch die Anzahl der Personen ist, die präventiv antibiotisch behandelt werden müssen, um einen Fall einer Tuberkulose zu verhindern.
„Die Arbeit und die PERISKOPE-TB Applikation sind ein Meilenstein in der Geschichte der Prävention der Tuberkulose“ so Professor Christoph Lange, Medizinischer Direktor am Forschungszentrum Borstel und Leiter der klinischen Tuberkuloseeinheit (ClinTB) des DZIF am Forschungszentrum Borstel. Professor Lange ist Koautor der Publikation und hat aus dem Forschungsverbund TBNET, der Tuberculosis Network European Trials group, longitudinale Daten von ca. 7000 Personen beigetragen. TBNET wurde 2006 gegründet. Heute ist es die größte multinationale Forschungsorganisation zum Thema Tuberkulose. TBNET dient als Plattform für die Planung, Organisation, Koordination und Auswertung translationaler klinischer Tuberkulose-Studien in Europa. Das internationale Studienbüro befindet sich in der Medizinischen Klinik des Forschungszentrums Borstel, Leibniz Lungenzentrum.
Originalpublikation
Gupta, R.K., Calderwood, C.J., Yavlinsky, A. et al. Discovery and validation of a personalized risk predictor for incident tuberculosis in low transmission settings. Nat Med (2020). doi.org/10.1038/s41591-020-1076-0