Schneller Kohleausstieg

Ein vorzeitiges Ende des Braunkohleabbaus wird die Gesamtwirtschaft kaum beeinträchtigen. Das zeigt eine neue Studie. In den betroffenen Regionen sind die ökonomischen Effekte dagegen erheblich.

16.01.2019 · News · Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle · Forschungsergebnis · Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften

Wenn Deutschland die Braunkohleverstromung vorzeitig beendet, wird die Gesamtwirtschaft kaum beeinträchtigt. Allerdings zeigen Berechnungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) spürbare Effekte auf die Arbeitsmärkte des Rheinlands, Mitteldeutschlands und der Lausitz. Eine Region ist besonders betroffen von Arbeitslosigkeit und Abwanderung.

Deutschland kann seine Klimaziele nur erreichen, wenn es seinen Strom vermehrt aus anderen Energieträgern gewinnt als aus Braunkohle. Ein Ende des Braun­kohleabbaus innerhalb der nächsten Jahrzehnte scheint deshalb absehbar. Welche ökonomischen Folgen hat dieser vorzeitige Ausstieg? Antworten darauf liefert eine neue Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident und Leiter der Abteilung Makroökonomik am IWH, untersucht mit seinem Team ein Szenario, wonach Deutschland bis zum Jahr 2035 aus der Braunkohle aussteigt. Da die Folgen des Ausstiegs nachwirken, endet die Projektion im Jahr 2040. Sie vergleichen dieses Szenario mit einem Basisszenario, dem lediglich die bisher schon beschlossenen Maßnahmen ohne Ausstiegstermin zugrunde liegen. Dabei kommt ein regionalwirtschaftliches makroökonomisches Modell zum Einsatz, das anders als sonst übliche Input-Output-Analysen auch Preiseffekte, Wanderungsverhalten und staatliche Transfers durch die Arbeitslosenversicherung berücksichtigt.

Die Braunkohlewirtschaft spielt in Deutschland mit etwa 21 000 Beschäftigen im Jahr 2014 insgesamt eine untergeordnete Rolle. Das durchschnittliche Arbeit­nehmerentgelt (Jahresbruttolohn plus Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber) von 68 000 Euro ist allerdings fast doppelt so hoch wie der deutsche Durchschnitt von 35 000 Euro. Der Ausstieg aus der Braunkohle dürfte somit den Durch­schnittslohn in den drei unmittelbar betroffenen Regionen Rheinland, Mittel­deutschland und Lausitz spürbar mindern. Da vom Braunkohle-Aus zum Beispiel auch Zulieferer betroffen sind und die regionalen Einkommen insgesamt nach­lassen, dürfte das Arbeitnehmerentgelt im Endjahr der Projektion (2040) in Ge­samtdeutschland um 4,2 Milliarden Euro geringer ausfallen als ohne einen be­schleunigten Ausstieg. Die Zahl der Erwerbstätigen sinkt laut Studie bis 2040 durch den schnelleren Ausstieg deutschlandweit um 16 000 Personen.

Weil ein Hochlohnsektor in den betroffenen Regionen wegfällt, dürfte sich die Ver­handlungsposition der Arbeitnehmer bei Tarifabschlüssen verschlechtern. Ein Teil der ehemaligen Braunkohlebeschäftigten wird sich neue Arbeitsplätze außerhalb der Braunkohleregionen suchen und deshalb abwandern. Insbesondere jüngere und gut qualifizierte Betroffene dürften zügig anderenorts gute Beschäftigungs­möglichkeiten finden. Von diesem Phänomen ist insbesondere die Lausitz betrof­fen: Die Modellprojektion deutet darauf hin, dass etwa 2 500 Personen diese Re­gion arbeitsplatzbedingt verlassen könnten. Zudem sinkt der durchschnittliche Brutto­lohn bis 2040 in der Lausitz am stärksten. Darüber hinaus wird die Arbeitslosigkeit dort zumindest vorübergehend steigen – in der Modellprojektion um 1,1 Prozent­punkte und damit so stark wie in keiner anderen Braunkohleregion.

Die Abwanderung aus den Braunkohleregionen führt auch in anderen Regionen zu ökonomischen Effekten. Wenn sich mehr Personen an anderen Orten niederlassen, dann steigt an diesen Zielorten die Nachfrage nach Wohnraum. Weil durch den Braunkohleausstieg das Stromangebot schrumpft, dürften die Strompreise steigen. Gesamtwirtschaftlich schlagen diese Effekte jedoch kaum zu Buche.

„Gesamtwirtschaftlich gesehen kann sich Deutschland einen schnelleren Ausstieg aus der Braunkohleverstromung leisten“, sagt Oliver Holtemöller. „Aber die regio­nalen Effekte sind durchaus beachtlich.“ Es sei insbesondere nicht davon auszu­gehen, dass in den unmittelbar betroffenen Regionen durch staatliche Maßnahmen schnell neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Der Strukturwandel werde sich über längere Zeit hinziehen und könne vor allem durch gute Rahmen­bedingungen für Pendler und für die Gründung neuer privater Unternehmen abge­federt werden. Für die Menschen in den betroffenen Regionen seien Kompensa­tionen nötig, etwa in Form von Abfindungen oder Umzugsbeihilfen.

Originalpublikation

Holtemöller, Oliver; Schult, Christoph: Zu den Effekten eines beschleunigten Braun­kohleausstiegs auf Beschäftigung und regionale Arbeitnehmerentgelte, in: IWH, Wirt­schaft im Wandel, Vol. 25 (1), 2019, 5-9, im Erscheinen.

Kontakt

Rafael Barth
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)
Tel.: +49 345 7753 832
presse(at)iwh-halle.de

www.iwh-halle.de