Vibrionen und Klimawandel

Unterwasseraufnahme von Seegras in lichtdurchflutetem See
Foto S. KUBE/IOW

Steigende Temperaturen führen zu mehr Vibrio-Bakterien in der Ostsee. Ein neues Projekt erforscht, ob spezielle Pflanzen- und Tiergesellschaften die Belastung senken – und damit das Gesundheitsrisiko.

19.05.2021 · Umweltwissenschaften · Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde an der Universität Rostock · News · Forschungsergebnis

Vibrio-Bakterien, darunter auch für Menschen gefährliche Arten, sind natürlicher Bestandteil des Ostseeplanktons. Im Zuge des Klimawandels können sie durch steigende Wassertemperaturen häufiger und damit ein zunehmendes Gesundheitsrisiko werden. Das Projekt BaltVib erforscht unter Leitung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), ob spezielle Pflanzen- und Tiergesellschaften wie Seegraswiesen und Muschelbänke die Vibrionen-Belastung in Küstennähe auf natürliche Weise senken und wie dieser Effekt durch Umweltgestaltung aktiv unterstützt werden kann. Der Forschungsverbund mit Partnern aus sieben Ostseestaaten nimmt am 19.5. mit einem virtuellen Kickoff-Treffen die Arbeit auf.

„Die besondere Stärke von BaltVib liegt darin, dass das gesellschaftlich hochrelevante Thema ‚Klimawandel und Vibrionen‘ erstmals für den gesamten Ostseeraum und darüber hinaus auch disziplinenübergreifend – gemeinsam von Mikrobiologie, Molekularbiologie, Meeresökologie und Sozioökologie – bearbeitet werden kann. Und auch die zukünftigen Anwender von praxisnahen Lösungsansätzen sind von Anfang an mit im Boot“, kommentiert Prof. Dr. Matthias Labrenz den heutigen Projektauftakt. Der IOW-Meeresmikrobiologe ist Leiter des internationalen BaltVib-Projektes, das im Rahmen des europäischen BiodivERsA-Programms* bis 2024 mit knapp 1,45 Mio. gefördert wird.

An BaltVib beteiligte wissenschaftliche Einrichtungen neben dem IOW sind das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, das Meeresforschungsinstitut der litauischen Universität Klaipėda, die Universität Kopenhagen, die Estnische Universität für Lebenswissenschaften, das Königliche Institut für Technologie Stockholm, die finnische Åbo Akademi Universität und Polens Nationales Forschungsinstitut für Meeresfischerei. An der heutigen Online-Tagung am IOW nehmen neben Wissenschaftler:innen auch Fachleute aus Umwelt- und Gesundheitsämtern, Fischereibehörden sowie den jeweils zuständigen Ministerien teil, die in ihrer Arbeit konkret mit der Vibrionen-Problematik befasst sind.

Vibrionen und Klimawandel

Als „Vibrionen“ bezeichnet man alle Bakterien der Gattung Vibrio. Sie sind im offenen Meer allgegenwärtig und kommen auch in Küsten-, Brack- und Süßgewässern sowie in Gewässersedimenten vor. Man kennt ca. 130 verschiedene Arten, von denen nur rund 10 % Infektionen bei Menschen, Fischen oder Muscheln verursachen.
Klimawandelbedingte Veränderungen der Ostsee, wie etwa der bis zum Jahr 2100 erwartete Anstieg der Oberflächenwassertemperatur um 2 – 4 ˚C, begünstigen die Vermehrung von Vibrionen und damit auch der gefährlichen Arten. Vibrio vulnificus beispielsweise, der bei vorerkrankten und anderweitig geschwächten Menschen allein durch Wasserkontakt zu schwerster Sepsis mit tödlichem Ausgang führen kann, vermehrt sich bei Wassertemperaturen über 20°C besonders gut. Die höchsten Infektionsraten fallen daher genau mit der Haupttouristensaison in Nordeuropa zwischen Mai und Oktober zusammen. Vibrio-Wundinfektionen werden bereits seit Mitte der 1990er Jahre vermehrt während Hitzewellen beobachtet, so dass mit Blick auf die Zukunft in der Ostseeregion von einer erheblichen Bedrohung für die menschliche Gesundheit und die Tourismusindustrie ausgegangen werden kann.

Seegraswiesen, Muschelbänke & Co.: BaltVib setzt auf „Ökosystemingenieure“

In Küstenmeeren wie der Ostsee haben sich Muschelbänke, Seegraswiesen und Makroalgenbestände z. B. aus Blasentang als besonders wertvoll erwiesen. Diese Lebensräume mit hoher Biodiversität übernehmen viele für Meer und Mensch wichtige Ökosystemfunktionen. Sie werden daher auch als „Ökosystemingenieure“ bezeichnet. Neuere Untersuchungen deuten nun darauf hin, dass in solchen Lebensräumen pathogene Vibrio-Arten deutlich reduziert sein können.

Genau hier setzt BaltVib an. Denn dieser Effekt eröffnet die Option, sogenannte Natur-basierte Lösungsstrategien zur Kontrolle gefährlicher Vibrionen in küstennahen Bereichen zu entwickeln. „Denkbar sind verschiedene Ansätze“, erläutert Matthias Labrenz. Zum einen sei es wichtig, den Schutz dieser wertvollen Habitate nach Möglichkeit voranzutreiben. „Zum anderen kann es sinnvoll sein, über künstliche Unterwasserstrukturen z.B. die Ansiedelung von Seegraswiesen oder Muschelbänken gezielt in den Bereichen zu fördern, wo Menschen besonders stark mit dem Meer interagieren“, so der IOW-Forscher weiter.
Um effektive Strategien zur Milderung der Vibrionen-Problematik zu entwickeln, müsse man jedoch zuerst noch viele grundlegende Fragen klären: Wie ist der aktuelle Vibrionen-Status der Ostsee? Was kann man aus historischen Aufzeichnungen lernen? Lassen sich zukünftige, Klimawandel-geprägte Vibrio-Szenarien konkreter als bisher beschreiben? Welche ökologischen Schlüsselfaktoren regulieren die Vibrio-Prävalenz? Labrenz: „Noch wissen wir beispielsweise nicht, warum es im Umfeld von Seegraswiesen weniger Vibrionen geben könnte und wie wirksam andere Ökosystemingenieure sind.“ Außerdem werden auch die potenziell Vibrionen-reduzierenden Lebensräume vom Klimawandel beeinflusst – ein Faktor, den man ebenfalls besser verstehen müsse, führt der Meeresforscher aus.

Das BaltVib-Forschungsprogramm umfasst ein großes methodisches Spektrum, von historischen Studien und PC-gestützter Zukunftsmodellierung über umfangreiche Probennahme-Kampagnen, Labor- und Freilandexperimenten bis hin zur Klärung technischer und organisatorischer Fragen bei der Umsetzung von Gestaltungsmaßnahmen im Meer. „Da die Ostsee ein ideales Modellsystem für viele Randmeere ist, hoffen wir, so grundlegende Ergebnisse zu erarbeiten, dass sie weltweit übertragbar sind. Denn gefährliche Vibrionen gibt es nicht nur bei uns“, resümiert Projektleiter Matthias Labrenz.

Weitere Informationen und Kontakt

www.io-warnemuende.de