
Wer lässt sich impfen?

Bei Impfungen spielt es keine Rolle, wie risikobereit jemand ist – relevant ist eine andere Eigenschaft.
10.09.2020 · Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften · RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung · HP-Topnews · Forschungsergebnis
Wann ein Impfstoff gegen das Coronavirus für weite Teile der deutschen Bevölkerung verfügbar sein wird, ist noch offen. Eines zeichnet sich jedoch schon ab: Die Impfung soll in Deutschland freiwillig sein. Damit stellt sich die Frage, wie man es schafft, möglichst viele Menschen von einer Impfung zu überzeugen. Hinweise liefert nun eine neue Studie des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, der Universität Paderborn und der Hochschule Stralsund.
Warum entscheiden sich Menschen gegen eine Impfung? Ökonomen nähern sich solchen Entscheidungen – Impfung ja oder nein, Versicherung ja oder nein – häufig über das Konzept der Risikoaversion. Die Idee: Risikoaverse Menschen wollen Unsicherheit reduzieren. Je größer die Risikoabneigung ist, desto eher entscheiden sie sich für die sichere Option – beispielsweise für eine Fahrradversicherung. Risikofreudige Menschen hingegen nehmen die Gefahr eines Diebstahls in Kauf und sparen sich das Geld für die Versicherung. Es wäre nachvollziehbar, davon auszugehen, dass die Entscheidung bei einer Impfung ähnlich abläuft: Risikoaverse Menschen lassen sich impfen, risikofreudige Menschen verzichten darauf.
Dass es so einfach nicht ist, zeigt eine neue RWI-Studie. Darin nutzen die Forscher repräsentative Daten aus den Niederlanden, in der mit verschiedenen Experimenten die Risikobereitschaft der Befragten getestet wurde. Zudem wurden die Teilnehmer gefragt, ob sie gegen die Grippe geimpft sind. Zu welchem Ergebnis kommt die Studie? Für die Impfneigung spielt es keine Rolle, wie risikobereit oder -avers jemand ist. Relevant ist dagegen ein anderes, bislang wenig erforschtes Konzept – die sogenannte „prudence“, also Vorsicht.
Menschen mit dieser Eigenschaft tendieren dazu, das schlechteste Ergebnis einer Entscheidung zu vermeiden. Bei Impfungen wäre das folgender Ausgang: Man lässt sich impfen, wird aber trotzdem krank, da die Impfung nicht wirkt. Zudem könnte sie mit Nebenwirkungen und Unannehmlichkeiten verbunden sein. Die Untersuchung zeigt: Rund drei Viertel der Befragten kann man als „vorsichtig“ charakterisieren – sie wägen in Experimenten nicht einfach Nutzen und Risiken gegeneinander ab, sondern versuchen, den schlechtesten Ausgang zu vermeiden. Entscheidend für die aktuelle Situation ist jedoch vor allem das Ergebnis, dass sich „vorsichtige” Menschen unter ansonsten gleichen Bedingun-gen seltener gegen die Grippe impfen lassen. Dieser Zusammenhang ist besonders stark in den Risikogruppen, also in der älteren Bevölkerung sowie bei Menschen mit Vorerkrankungen – sie werden durch ihre „Vorsicht“ besonders häufig von einer Impfung abgehalten.
Was heißt das für eine mögliche Corona-Impfung? Auch bei der Corona-Impfung dürfte es für viele Menschen weniger um eine einfache Abwägung des persönlichen Erkrankungsrisikos gehen, sondern um vielfältige Sorgen, die mit einer Impfung verbunden sein könnten. Und trotz der größeren Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs könnten diese Sorgen gerade Menschen aus Risikogruppen von einer Impfung abhalten. Für den Erfolg eines Impfstoffs dürfte es entscheidend sein, Sorgen über die Sicherheit und Wirkung eines Impfstoffs ernst zu nehmen und zu adressieren.