Zögerliche Parteibindung

Menschen mit Einwanderungsgeschichte binden sich laut einer aktuellen Studie seltener an Parteien als die restliche Bevölkerung. Nur 28 Prozent der Eingewanderten gaben 2019 eine Parteibindung an.

14.07.2021 · Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften · DIW Berlin - Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung · News · Forschungsergebnis

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl und mehreren Landtagswahlen werben die Parteien kurzfristig um Wählerstimmen. Langfristig versuchen sie jedoch, dass Menschen sich mit ihnen identifizieren und eine dauerhafte Bindung aufbauen. Wie ihnen das mit einer wachsenden Wählergruppe – den Menschen mit Einwanderungsgeschichte – gelingt, haben Forscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) anhand von Befragungsdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) untersucht. Ihr Ergebnis: Menschen mit eigener oder familiärer Einwanderungsgeschichte fühlen sich seltener einer Partei in Deutschland verbunden als die Bevölkerung ohne Einwanderungsgeschichte. Nur 28 Prozent der Eingewanderten und 30 Prozent ihrer Kinder gaben 2019 eine Parteibindung an, bei der restlichen Bevölkerung waren es 47 Prozent.

Eine Ursache dafür ist, dass Eingewanderte im Zielland zunächst Erfahrungen mit den Parteien sammeln müssen. Mit der Dauer des Aufenthalts steigen die Parteibindungen: In den ersten fünf Jahren nach Einwanderung hat etwa ein Viertel der Eingewanderten mindestens einmal eine Parteibindung angegeben, nach 15 Jahren rund die Hälfte. Das sei zu lang, findet Studienautor und SOEP-Gastwissenschaftler Jannes Jacobsen: „Viele Eingewanderte stehen auch Jahre nach der Einwanderung den Parteien in Deutschland distanziert gegenüber. Dabei kann die Parteibindung auch als Indikator für ihre Inklusion in das Parteiensystem gesehen werden.“ 

Parteibindungen unterscheiden sich sehr stark nach Herkunftsländern

Welcher Partei Eingewanderte langfristig zuneigen, ist zwischen den einzelnen Herkunftsgruppen sehr unterschiedlich. Personen, die bis 1992 aus den Anwerbestaaten Türkei, Jugoslawien beziehungsweise den Nachfolgestaaten, Griechenland, Italien, Spanien und Portugal einwanderten und eine Parteibindung berichten, neigen zu 59 Prozent der SPD zu. Viele von ihnen – aber nicht alle – kamen als sogenannte GastarbeiterInnen nach Deutschland. Allerdings ist ihre Bindung zur SPD wie in der Gesamtbevölkerung gesunken. In den Jahren 1984 bis 1989 fühlten sich ihr noch 76 Prozent dieser Einwanderungsgruppe verbunden.

Hingehen fühlen sich Personen, die bis 2003 aus Rumänien, Polen, der Sowjetunion und den Nachfolgestaaten Russland, Kasachstan, Kirgistan, Ukraine, Tadschikistan, Usbekistan vielfach als SpätaussiedlerInnen einwanderten, zu 54 Prozent der CDU/CSU verbunden. Zu Bündnis 90/Die Grünen neigen überproportional viele Eingewanderte aus westlichen Ländern (USA, Schweiz, Niederlande, Frankreich), zur Partei Die Linke vor allem in Serbien Geborene.

Parteien müssen mehr tun, um wachsende Wählergruppe an sich zu binden

„Stabile Parteibindungen verlieren in verschiedenen sozialen Milieus seit Jahrzehnten an Bedeutung“, erklärt Studienautor und Senior Research Fellow am SOEP Martin Kroh. „Wenn Parteien unterschiedliche Herkunftsgruppen von Eingewanderten gezielt parteipolitisch mobilisieren, können sie entgegen dem Trend die Bindung an ihre Partei erhöhen.“ Dafür ist neben einer aktiven Ansprache sowie einer Repräsentation in parteipolitischen Ämtern vor allem entscheidend, dass Parteien die Interessen der Einwanderergruppen effektiv vertreten. Jacobsen empfiehlt: „Politische Interessen Eingewanderter und ihrer Kinder gezielt zu vertreten sollte als Aufgabe von Parteien stärker wahrgenommen werden.“

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