
Winterreise
Unter Polarlichtern durch endloses Weiß. Bei Hundeschlittenrennen genießt Genetiker Axel Janke kreative Pausen von der Forschung – bei bis zu -43 Grad Kälte.
Text & Fotos AXEL JANKE
"Einmal im Jahr brauche ich es, mit Schlittenhunden bei Schnee und Kälte durch die weiße Unendlichkeit Lapplands zu fahren. Der Ruf der Wildnis lockt mich, seit ich als Jugendlicher die Romane von Jack London über den Goldrausch, Alaska, und Schlittenhunde gelesen habe. Schon auf meiner ersten Fahrt mit Schlittenhunden, weit nördlich des Polarkreises unter Polarlichtern, wurde ich Ende der 1980er Jahre dann unheilbar vom Lappland-Virus befallen. Seitdem wurden die Touren immer länger: Coast-to-coast ging es mit dem Hundeschlitten einmal quer durch Skandinavien, die 500 Kilometer von Luleå nach Narvik. Und dann, noch extremer, im Alleingang 400 Kilometer zum Dreiländereck zwischen Schweden, Norwegen und Finnland entlang der Skanden, dem Skandinavischen Gebirge. All das wurde möglich, weil mir Taisto, ein Freund in Lappland, seine „Athleten“ anvertraut.
„Athleten“, so nenne ich gerne die treuen Mitglieder meines Teams: die Schlittenhunde. Bei -15° Grad Celsius fühlen die Hunde und ich uns am wohlsten. Es ist dann kalt genug, um nicht zu schwitzen und nicht so kalt, dass der Schnee zu rauem Sand erstarrt und jedes Material starr und brüchig wird. Aber wir haben auch schon andere Wetterlagen hinter uns: 10 Grad und brennender Sonnenschein Ende April, -10 Grad im Blizzard oder -43 Grad unter sternenklarem Himmel im Februar. Gerade auf Langstreckenrennen sie diese Extreme ein Problem.


2010 hatte ich dann endlich genug Erfahrung, um am Finnmarksløpet teilzunehmen, dem längsten Schlittenhundrennen, hoch im Norden Europas. Mit je acht Huskies begeben sich 80 Teams aus aller Welt auf die 500 Kilometer lange Strecke. Nach zwei Tagen, 20 Stunden und 38 Minuten landeten die Hunde und ich auf Platz 21. Seitdem fahre ich auch jedes Jahr das etwas kürzere Tobacco-Trail-Rennen, das von Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens, runter nach Finnland und wieder zurück.
„Musher“ nennt man Leute wie mich, die also ein Hundeschlittengespann steuern. Und als Musher kennt man bei Rennen wie dem Tobacco-Trail keine Pause. Nach sechs bis acht Stunden Fahrt müssen auch bei -40 Grad als erstes die Hunde versorgt werden. Ich verteile Stroh, kleine Jacken und Decken. Die gefrorenen Booties, die die Tatzen der Tiere auf diesen langen Strecken schützen, müssen runter – 32 Mal bücken. Immer wieder kommt es auch zu Verletzungen. Wenn nach 160 Kilometer Fahrt die Tatze geschwollen ist, nimmt der Race Marshal schon einmal einen Hund aus dem Rennen. Und jedes ausgefallene Teammitglied ist Verlust.
Jetzt noch warmes Futter auf dem übergroßen Alkoholkocher zubereiten, bis zu 12.000 Kilokalorien braucht jeder Hund täglich. Während die Huskies ein paar Stunden ruhen, esse auch ich etwas kleines, trinke einen Kaffee mit den Konkurrenten, die hier draußen Freunde sind, und mache ein Nickerchen auf dem kalten Boden, bevor es weitergeht.
Dann geht es wieder raus in die lange Polarnacht. Die Fahrten während der Nachtstunden sind geradezu magisch. Dann sind wehende Polarlichter und der silbrige Mondschein die einzigen Lichtquellen. Ist es bewölkt macht das winzige Universum im Lichtkegel der Stirnlampe bescheiden. Wenn es schneit, ziehen die Flocken wie Sterne an einem Raumschiff vorbei. Dann gibt es nur das Team und mich und die Forschung macht eine kreative Pause.
Am Ende des diesjährigen Tobacco-Trails kommen wir als zweiter von 14 Startern ins Ziel in der Nähe des Flughafens von Kiruna an. Zurück in der Zivilisation. Bis zum nächsten Mal."

Zur Person
Axel Janke leitet die Arbeitsgruppe „Evolutionäre Genomik“ am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, einem Leibniz-Institut in Frankfurt. Der Genetiker erforscht die Genome von Säugtieren, um deren Evolution zu verstehen. Unter anderem konnte er zeigen, dass die Polarbären drei Warmzeiten überlebten und dass es statt einer Giraffenart vier Arten gibt. Außerdem hat er das Genom des größten Tiers auf unserem Planeten entschlüsselt: des Blauwals.