Akteurinnen mit Einfluss

Zentrale Moschee in Bischkek
Foto COLLAB MEDIA/UNSPLASH

In Kirgistan gewinnt der islamische Aktivismus von Frauen zunehmend an Bedeutung. Eine aktuelle Analyse ordnet ihre Aktivitäten ein.

14.04.2023 · News · Leibniz-Zentrum Moderner Orient · Geisteswissenschaften und Bildungsforschung · Forschungsergebnis

Von wohltätiger Arbeit bis hin zum Thema Mode, online wie offline: In Kirgistan haben islamische Organisationen und islamischer Aktivismus – und dabei vor allem der von Frauen – in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Welchen Einfluss Akteurinnen dabei auf die Gesellschaft haben und wie ihre Aktivitäten einzuordnen sind, zeigt eine aktuelle Analyse von Aksana Ismailbekova.

Die Rolle des Islam in Zentralasien werde nach wie vor durch eine beschränkte Anzahl von Analyse- und Interpretationsschemen betrachtet, argumentiert Ismailbekova in ihrem Artikel, der kürzlich in Zentralasienanalysen erschienen ist. Häufig kommt eine sicherheitspolitische Perspektive zum Einsatz, die die Islamisierung als Gefahr für die Stabilität der Region beschreibt. Des Weiteren wird der Islam häufig als Herausforderung für liberales Gedankengut interpretiert, der Freiheiten und Rechte von beispielsweise Frauen in Frage stellt. Als eine weitere Perspektive wird in der Wissenschaft der muslimische Aktivismus in Zentralasien als Bestandteil regionaler Identitätspolitik interpretiert, in der zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse als Ersatz für die in der Sowjetunion dominierenden staatlichen Organisationen dienen. 

Ismailbekova erweitert diese drei Perspektiven um eine weitere: die soziale Wirkmächtigkeit. Sie nimmt Frauennetzwerken- und Vereinigungen in den Fokus und analysiert, wie Akteurinnen die kirgisische Gesellschaft durch ihren Glauben und ihre Glaubenspraxis prägen und verändern. Dabei wirft sie einen Blick auf die Aktivitäten der Frauen, die sowohl online als auch offline Angebote zu Themen machen wie Kindererziehung, Geschlechtergleichheit oder mentale Gesundheit. Aber auch Initiativen im Bereich der Unternehmensentwicklung gibt es, die alleinstehenden oder verwitweten Frauen helfen, Arbeit zu finden. Eine zunehmend wichtigere Rolle spielen dabei die sozialen Medien, über die islamische Influencerinnen und Bloggerinnen vor allem junge Menschen ansprechen. 

Das Hauptanliegen der Aktivistinnen ist eine positive Darstellung ihres Glaubens. Sie möchten mit ihren Angeboten eine moderne Vision des Islam vermitteln, die sich durch Progressivität, zeitgemäßem Stil und eine humanitäre Ausrichtung auszeichnet. Viele der Aktivistinnen und Bloggerinnen setzen sich daher auch für Toleranz gegenüber Andersgläubigen ein und ecken innerhalb ihrer Religionsgemeinschaften häufig an mit ihren Bestrebungen, Frauen mehr Platz in den Gemeinschaften einzuräumen. Ismailbekova stellt fest, dass sich islamische Aktivistinnen in der kirgisischen Gesellschaft etabliert haben und insbesondere durch ihre mediale Reichweite wirkmächtig sozial und kulturell bedingte Normen infrage stellen. Sie empfiehlt daher auch, dass der Islam aufgrund seiner Stellung in der Zivilgesellschaft des Landes für die Zusammenarbeit zwischen internationalen Akteuren mit lokalen Partnern über verschiedene Themengebiete hinweg immer berücksichtigt werden sollte.

Ismailbekovas Artikel entstand im Rahmen einer größer angelegten Studie des Leibniz-Zentrums Moderner Orient (ZMO) in Kooperation mit dem European Centre for Development Policy Management (ECDPM) in Maastricht und acht Wissenschaftler*innen aus Zentralasien. Ziel der Studie war es, das allgemeine Verständnis über den Charakter des Islamischen Aktivismus in vier Ländern Zentralasiens (Kirgisistan, Usbekistan, Kasachstan und Tadschikistan) zu verbessern und eventuelle Risiken zu erfassen. Die Ergebnisse zeigen, dass Islamismus und islamischer Aktivismus zu einem zentralen Phänomen in der postsowjetischen religiösen Landschaft der Region geworden sind. Entgegen der unter vielen politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit verbreiteten Auffassung, dass Islamisierung und Islamismus eine Gefahr für die Region darstellen, konnte gezeigt werden, dass Islamischer Aktivismus eine ganz andere Form annehmen kann. Beispielsweise spielt er eine immer wichtigere Rolle bei der Bereitstellung öffentlicher Güter und Dienstleistungen, die nicht vom Staat erbracht werden. 

Aksana Ismailbekova ist Anthropologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin. Dort beschäftigt sie sich in ihrer aktuellen Forschung insbesondere mit der Zukunftsgestaltung in Zentralasien im Bereich der Generationenbeziehungen, Infrastruktur und Mobilität. 

Weitere Informationen und Kontakt

Pressemitteilung des Leibniz-Zentrums Moderner Orient (ZMO)