Widersprüchlicher Bitter-Geschmack?
Ein bitterer Geschmack warnt uns vor potenziell giftigen Substanzen. Doch nicht alles, was bitter schmeckt, ist auch schädlich. Warum?
23.07.2024 · HP-Topnews · Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München · Lebenswissenschaften · Forschungsergebnis
Ein bitterer Geschmack gilt traditionell als Warnsignal vor potenziell giftigen Substanzen. Doch nicht alle Bitterstoffe sind schädlich. So schmecken einige Peptide und freie Aminosäuren bitter, obwohl sie für den Menschen ungiftig, nahrhaft und teilweise sogar lebensnotwendig sind. Eine neue Studie des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München bietet nun erstmals eine Erklärung für dieses auf den ersten Blick paradoxe Phänomen.
Generell hilft uns der Geschmackssinn bei der Nahrungsauswahl. Von den fünf Grundgeschmacksrichtungen zeigen Süß und Umami an, dass ein Lebensmittel energiereich und nahrhaft ist. Unser Sinn für Salz hilft uns, unseren Elektrolythaushalt im Gleichgewicht zu halten. Saure Geschmacksnoten können uns vor unreifer oder verdorbener Nahrung warnen, bittere vor potenziell giftigen Substanzen.
Angesichts zahlreicher giftiger Pflanzeninhaltsstoffe wie Strychnin aus der Brechnuss oder Blausäure aus Maniok erscheint dies sinnvoll. Und es macht auch Sinn, dass vor allem Säuglinge und Kleinkinder Bitteres ablehnen. Denn schon geringe Mengen solcher Giftstoffe sind für sie schädlich.
Gallenbittere Eiweißfragmente
Doch nicht alles, was bitter schmeckt, ist gefährlich, sondern kann sogar nahrhaft sein. Ein interdisziplinäres Forschungsteam um den Molekularbiologen Maik Behrens hat die Gründe für dieses scheinbar widersprüchliche Phänomen nun erstmals untersucht.
Wie das Team des Leibniz-Instituts mithilfe eines etablierten, zellulären Testsystems herausgefunden hat, reagieren fünf der etwa 25 menschlichen Bitterrezeptortypen sowohl auf freie Aminosäuren und Peptide als auch auf körpereigene Gallensäuren. Erstere entstehen bei der Spaltung von Proteinen und sind reichlich in fermentierten Lebensmitteln wie Frischkäse oder auch Proteinshakes enthalten. Gallensäuren spielen dagegen als Nahrungsbestandteil so gut wie keine Rolle, sondern erfüllen im Körper eigene Funktionen. Sie kämen daher als Aktivatoren endogener Bitterrezeptoren in Frage, die zum Beispiel auf Darm- und Blutzellen sitzen.
Erklärung: Ähnliche strukturelle Merkmale
„Interessanterweise zeigen unsere Modellierungsexperimente, dass ein bestimmtes bitter schmeckendes Peptid innerhalb der Rezeptorbindungstasche eine funktionell aktive 3D-Form annehmen kann, die der von Gallensäuren ähnelt. Diese zufällige Ähnlichkeit könnte erklären, warum die gleiche Gruppe von Bitterrezeptoren auf beide Stoffgruppen reagiert“, erläutert Bioinformatikerin Antonella Di Pizio. Erstautorin Silvia Schäfer ergänzt: „Unsere Genanalysen zeigen darüber hinaus, dass die Fähigkeit, sowohl Gallensäuren als auch Peptide zu erkennen, bei drei der Bitterrezeptortypen hoch konserviert ist und sich bis zu den Amphibien zurückverfolgen lässt. Dies weist wiederum darauf hin, dass mindestens das Erkennen einer der zwei Stoffgruppen speziesübergreifend wichtig ist.“
„Gallensäuren und Bitterrezeptoren existierten bereits Millionen Jahre vor den typischen Bitterstoffen der heutigen Blütenpflanzen und lange vor dem Menschen – etwa in Fischen. Das stützt die Hypothese, dass Bitterrezeptoren ursprünglich auch wichtige physiologische Prozesse regulierten und nicht nur vor giftigen Substanzen warnten“, erklärt Studienleiter Maik Behrens. „Diese Erkenntnisse geben neue Einblicke in die komplexen Systeme der Geschmackswahrnehmung und deuten darauf hin, dass Bitterrezeptoren zusätzliche, noch unbekannte Rollen für die menschliche Gesundheit spielen, die über ihre Funktion bei der Lebensmittelauswahl hinausgehen.“
Publikation
Schaefer, S., Ziegler, F., Lang, T., Steuer, A., Di Pizio, A., and Behrens, M. (2024). Membrane-bound chemoreception of bitter bile acids and peptides is mediated by the same subset of bitter taste receptors. Cell Mol Life Sci 81, 217. 10.1007/s00018-024-05202-6. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC11096235/