Deutschland-Monitor: Wie ticken Ost und West?

Brandenburger Tor
Foto ANSGAR SCHEFFOLD/UNSPLASH

Ostdeutsche fühlen sich laut einer neuen Studie stärker abgehängt als Westdeutsche. Dabei unterscheiden sie sich in der Bewertung der Lebensqualität kaum.

01.02.2024 · News · GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften · Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften · Forschungsergebnis

In der Bewertung der Lebensqualität unterscheiden sich Menschen in Ost- und Westdeutschland oder Menschen auf dem Land und aus der Stadt kaum. Dieses überraschende Ergebnis ist einer der Hauptbefunde des Deutschland-Monitors 2023, einer neu entwickelten jährlichen wissenschaftlichen Studie, die eine neue Sicht auf gesellschaftliche und politische Einstellungen und Bewertungen der deutschen Bevölkerung ermöglicht.

Als zentrale Herausforderungen vor Ort gelten in Stadt und Land die Verfügbarkeit bezahlbaren Wohnraums, der Fachkräftemangel sowie der zunehmende Gegensatz zwischen Arm und Reich. In strukturschwachen ländlichen Regionen – verstärkt in Ostdeutschland – wird die Abwanderung junger Menschen als besondere Herausforderung problematisiert. Positiv ist, dass in Deutschland flächendeckend ein starker sozialer Zusammenhalt vor Ort wahrgenommen wird: „Sozialer Zusammenhalt vor Ort ist eine zentrale Ressource für das Funktionieren der Demokratie“, so Politikwissenschaftler Everhard Holtmann vom Zentrum für Sozialforschung Halle.

Wohn- und Lebensumfeld entscheidet mit über politische Einstellung

Der Fokus des neuen Deutschland-Monitors zeigt: Für die Entwicklung politischer Einstellungen sind individuelle Merkmale und gleichzeitig auch das Wohn- und Lebensumfeld entscheidend. Menschen in Ostdeutschland fühlen sich doppelt so häufig abgehängt wie Menschen in Westdeutschland (19 % zu 8 %). Damit einhergehend haben in Ostdeutschland mehr Menschen den Eindruck, dass sich die Politik nicht ausreichend für ihre Region interessiere und sich zu wenig für deren wirtschaftliche Entwicklung einsetze. Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland können aber zum Teil auf objektive Faktoren zurückgeführt werden. Menschen in strukturschwachen Regionen in Ost und West fühlen sich stärker abgehängt als Menschen in strukturstarken Regionen. Das „Gefühl des Abgehängtseins“ ist in jenen ostdeutschen und strukturschwachen Gegenden besonders stark verbreitet, die stärker von Überalterung und Abwanderung betroffen sind (vgl. Abb. 1).

„Dieses Gefühl sollte ernstgenommen werden, denn wer sich oder seine Region als ‚abgehängt‘ ansieht, neigt eher zu populistischen Einstellungen und ist weniger zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie“, sagt Marion Reiser, Politikwissenschaftlerin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Während die Idee der Demokratie in Deutschland praktisch von allen ca. 4.000 Befragten (97 %) unterstützt wird, bewertet ein großer Teil der Bevölkerung die gegenwärtige Praxis der Demokratie skeptisch: Mit dem Funktionieren der Demokratie sind vier von zehn Befragten in Westdeutschland (40 %) und mehr als die Hälfte im Ostdeutschland (56 %) unzufrieden (vgl. Abb.2).

Einstellungen der Westdeutschen nähern sich an die der Ostdeutschen an

Dagegen findet der Deutschland-Monitor einen stabilen wohlfahrtsstaatlichen Konsens: Eine breite Mehrheit ist der Ansicht, dass der Staat für allgemeine Lebensrisiken Verantwortung übernehmen sollte. Dabei wächst die Offenheit für einen handlungsfähigen Staat bei wirtschaftlichen Herausforderungen und sozialen Risiken. „Die Ost-West-Unterschiede schmelzen, weil sich die entsprechenden Einstellungen der Westdeutschen an die der Ostdeutschen annähern“, so Reinhard Pollak, Soziologe am GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften Mannheim.

Diese und zahlreiche weitere Resultate des Deutschland-Monitors enthält der ausführliche Ergebnisbericht der Studie, der auf den Homepages der beteiligten Forschungsinstitute sowie auf der Homepage des Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland abrufbar ist. Eine kompakte Kurzinformation über die wesentlichen Untersuchungsergebnisse ist dort ebenfalls verfügbar.

Der Deutschland-Monitor

Der Deutschland-Monitor ist eine neu entwickelte Studie der Wissenschaft, die fortan jährlich die Einstellungen der Menschen in Deutschland untersucht. Kernfrage der Studie ist, wie regionale Lebensumfelder („Kontexte“) die Einstellungen der dort lebenden Menschen kurz- und langfristig beeinflussen. Mit einer einzigartigen Studienanlage können sowohl deutschlandweite als auch regionale Entwicklungen untersucht und gegeneinander kontrastiert werden. Hierzu nutzt der Deutschland-Monitor zwei Stichproben. Die erste Stichprobe repräsentiert mit ca. 4.000 Befragten die Bevölkerung ab 16 Jahren in Deutschland. Die zweite Stichprobe ist eine Regionalstichprobe in ausgewählten strukturstarken und strukturschwachen Landkreisen in Ost- und Westdeutschland, in denen insgesamt weitere 4.000 Personen repräsentativ befragt werden. Zusätzlich zu den Bevölkerungsbefragungen werden vertiefende Fokusgruppeninterviews in den ausgewählten Landkreisen durchgeführt, die eine intensive Analyse der Einstellungen und Sichtweisen der Menschen ermöglichen.

Ein Konsortium von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Zentrum für Sozialforschung Halle (ZSH), dem Institut für Politikwissenschaft der Universität Jena und von GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim erstellt den Deutschland-Monitor. Finanziert wird der Deutschland-Monitor durch eine Zuwendung des Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland. Der Deutschland-Monitor hat jährlich wechselnde Schwerpunktthemen. Im Jahr 2023 fanden die Befragungen im Juni, Juli und Oktober statt. Zunächst ist eine dreijährige Testphase in den Jahren 2023 bis 2025 geplant.

Weitere Informationen und Kontakt

Pressemitteilung der GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (GESIS)