Gekauft, getauscht oder geraubt?

Foto DSM ARCHIV

Viele Museumsobjekte stammen aus der Kolonialzeit. Wie sie hierher gelangten, wird inzwischen weltweit kritisch hinterfragt. Auch das Forschungsmuseum DSM untersucht die Herkunft seiner Sammlungen.

11.01.2021 · Geisteswissenschaften und Bildungsforschung · Deutsches Schifffahrtsmuseum - Leibniz-Institut für Maritime Geschichte · News · Forschungsergebnis

Viele Objekte in den Beständen des Deutschen Schifffahrtsmuseums / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte (DSM) stammen aus der Zeit des Kaiserreichs. Welche Rolle sie innerhalb der Kolonialgeschichte spielten, ist oftmals ungeklärt. In seiner Rolle als Forschungsmuseum fragt das DSM auch nach der Herkunft seiner eigenen Museumsobjekte.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben europäische Militärs, Wissenschaftler und Kaufleute diverse Kultur- und Alltagsobjekte aus den damaligen Kolonien in ihre Heimatländer verbracht. Wie sie in welche Institutionen gelangten, ob sie gekauft, getauscht oder geraubt wurden, wird inzwischen weltweit kritisch hinterfragt.

Damals entstanden in Europa naturkundliche und ethnologische Sammlungen an Museen, aber auch an Universitäten, die hierfür auf den Import von außereuropäischen Objekten per Schiff angewiesen waren. „Zur Erforschung dieser diffizilen Umstände braucht es sowohl Detektiv-Kenntnisse als auch Kenntnisse der maritimen Geschichte, über beides verfügen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am DSM“, sagt Prof. Dr. Ruth Schilling, wissenschaftliche Leiterin für den Programmbereich Schifffahrt und Gesellschaft am DSM.

Über die Nachverfolgung von Schiffsrouten lassen sich Transportlogistik und die Rolle der Akteure gemeinsam betrachten. Die koloniale Geschichte der Objekte am Museum ist bisher kaum erforscht und stellt das DSM wie viele andere Museen vor eine Herausforderung. Der Wunsch, sich der eigenen Sammlungs- und Objektgeschichte zu stellen steht einer oftmals schwierigen Quellenlage gegenüber. Mit dem Transport von Objekten nach Europa veränderte sich oftmals auch ihre kulturelle Funktion. Sie wurden aus ihrem ursprünglichen Nutzungszusammenhängen entnommen und dienten der objektaufnehmenden Gesellschaft vielfach als symbolhafte Gegenstände, die fremde Kulturen repräsentierten.

Die Forschung am DSM beleuchtet auch solche Fragen der Bild- und Objektwirkung. Ein gutes Beispiel hierfür sind Seidenstickbilder aus dem Besitz von Seeleuten, meist Marine-Angehörigen, die in China und Japan eingesetzt waren und diese Bilder als Souvenirs mit nach Hause brachten. Auf den ersten Blick erscheinen sie als Erzeugnisse traditioneller ostasiatischer Seidenstickkunst. Auffällig ist das ähnliche Design dieser Stickereien und die Abbildung spezifischer nationaler Symbole, wie etwa Nationalfahnen oder der deutsche Reichsadler, die auf Wunsch der Kundschaft aus den Kolonialmächten in den Bildern dargestellt wurden.

Seidenstickbilder wurden vor Ort in Massenproduktion von spezialisierten Werkstätten hergestellt, die von der großen Nachfrage nach ostasiatischen Seidenstickereien profitierten. Die Bilder können daher als hybride Objekte definiert werden. Sie zeigen auf der einen Seite, wie der Kolonialismus Jahrhunderte alte Handwerkskünste beeinflusste und wie in dieser Zeit unterschiedliche Kulturen miteinander verflochten wurden. Auf der anderen Seite zeigen sie aber auch, wie die national-imperialistischen Bestrebungen des Kaiserreichs auf die persönliche Sphäre und vermutlich auch auf das Selbstbild deutscher Seeleute Einfluss nahmen.

Zu untersuchen bleibt auch, welche Rolle der Schiffsverkehr als solcher bei der Auswahl der exportierten Objekte spielte – und inwieweit er die Herstellung mancher Objekte überhaupt erst begründete. Hier sei es hilfreich, sowohl die Objekte als auch die Transportbedingungen in den Blick zu nehmen: „Wie groß ist ein Objekt, passt es auf ein Schiff, wie kann es verpackt oder beschriftet werden? Wir wollen unseren Bestand daraufhin abklopfen, welche Informationen wir daraus ziehen können, welche Auswirkungen die Infrastruktur der Zeit hatte und welche politischen Entwicklungen damit einhergingen“, so Schilling.

Heute ist die Geschichte von kolonialzeitlichen Objekten ein gesellschaftliches und politisch umstrittenes Thema, zu dem das DSM seinen Beitrag liefern wird und auch unter maritimen Museen eine Debatte um kolonialzeitliches Sammlungsgut anstoßen möchte.

Weitere Informationen und Kontakt

www.dsm.museum