Hello Nature
Eine Ausstellung fragt nach neuen Weltbildern, die ein wertschätzendes, nachhaltiges Zusammenleben von Mensch und Natur fördern.
10.10.2024 · HP-Topnews · Germanisches Nationalmuseum · Geisteswissenschaften und Bildungsforschung · Projekte
Hello Nature. Wie wollen wir zusammen leben?
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, 3.10.2024 - 2.03.2025
Wildbret, Fisch und Gemüse, Waldbeeren mit Honig, aber auch kostbare Bodenschätze wie Gold, Silber und seltene Erden: Die Natur bietet, was das Herz begehrt, und versorgt uns sowohl mit Nahrung als auch Luxusgütern. Und gleichzeitig bedroht sie unsere Art zu leben – durch Naturkatastrophen wie Hochwasser, Vulkanausbrüche oder Erdbeben. Wie wollen und können wir in Einklang mit der Natur leben? Wie gelingt ein gleichberechtigtes Zusammenspiel von Mensch, Tier und Natur?
Erstmals thematisiert eine große kulturhistorische Ausstellung umfassend und interdisziplinär das komplexe Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. Mit ihrem ökokritischen Blick auf die europäische Kulturgeschichte zeigt sie auf, zu welch‘ tiefgreifenden Veränderungen die Interaktionen zwischen Mensch und Natur über die Jahrtausende geführt haben. Der Blick reicht von der Steinzeit bis in die Gegenwart, anschaulich vermittelt durch rund 250 Exponate aller Gattungen.
„Seit seiner Sesshaftwerdung hat der Mensch seine Umwelt beeinflusst und verändert“, erklärt Generaldirektor Prof. Dr. Daniel Hess die Motivation für die Ausstellung, „und dabei Bilder und Vorstellungswelten von Natur ausgeprägt, die in der aktuellen Diskussion um Klima, Nachhaltigkeit und Biodiversität noch kaum eine Rolle spielen. Diese zum Teil hochemotionalen Bilder können uns heute helfen, das Verhältnis von Mensch und Natur neu zu denken, unsere innere Haltung und unser Handeln zu verändern, um uns und der Biosphäre eine Zukunft zu geben.“
Die Sonderausstellung ist in drei Sektionen gegliedert: Beherrschung, Bedrohung und Bewahrung.
Die Beherrschung der Natur
Seit Jahrtausenden nutzt der Mensch die Natur. Bereits in der Steinzeit ging er auf die Jagd, wovon die sogenannten Schöninger Wurfspeere, Speerschleudern und neolithische Angelhaken zeugen. Doch die Jagd diente nicht nur dem Nahrungserwerb, sie entwickelte sich auch zum Freizeitvergnügen für eine gesellschaftliche Elite. Jagdhorn, prunkvolle Waffen und repräsentative Darstellungen der im 17. und 18. Jahrhundert beliebten Parforcejagd stehen dafür in der Ausstellung.
Doch die Nutzung der Natur funktioniert nur mit Maß. Die Nürnberger Waldsaat und die Züricher Fischtafel machen deutlich, dass schon vor mehr als 600 Jahren ein Bewusstsein für Ressourcenknappheit herrschte. Die Fischtafel aus dem Jahr 1709 zeigt 30 verschiedene Fischarten aus Limmat und Zürichsee nebst einer Tabelle mit nach Monaten geordneter Schon- und Ver- kaufsdauer. Auch Laichzeiten sind festgehalten, in denen keine Fische gefangen und gehandelt werden dürfen. Bis heute hängt die monumentale Tafel im Stadthaus in Zürich.
Auch die Kunst greift auf die Natur zurück. Seit der Antike dient die Natur als Vorbild für die Kunst, die ihr möglichst getreu nachzueifern versucht. Besondere Nähe garantieren Naturabgüsse, Beispiele aus dem frühen 16. Jahrhundert geben kleine Weich- und Kriechtiere täuschend- und lebensecht wieder.
Die Natur als Warenhaus: Seit jeher faszinieren seltene Tiere, Materialien und Dinge aus fernen Ländern in außergewöhnlichen Farben und Formen. Als kunstvolle Preziosen drücken sie Wohlstand aus und werden seit dem 16. Jahrhundert in Kunst- und Wunderkammern gesammelt. Den damals begehrten Objekten aus Koralle und Elfenbein, den Goldpokalen mit Kokosnuss oder Meeresschnecke stellt die Ausstellung Luxusartikel aus der Zeit um 1900 an die Seite: ein Straußenfederfächer, eine Handtasche aus Affenfell mit Edelholzgriff und eine Reisegarnitur mit Bürsten und Kamm aus Schildpatt. Erst 1973 wird das erste internationale Artenschutz-Abkommen verabschiedet, das den Handel mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten reguliert. Immer wieder beschlagnahmt der Zoll verbotene Materialien, die mit unter Restaurierungswerkstätten von Museen zugutekommen.
Bedrohung durch die Natur
Im Hintergrund tickte immer die Uhr. Naturkatastrophen galten lange Zeit als Strafen Gottes für menschliches Fehlverhalten. Die biblische Sintflut ist das bekannteste dieser Ereignisse, das Hans Baldung auf einem Gemälde zum Sinnbild einer „Last Generation“ im frühen 16. Jahrhundert machte. Erst seit dem Erdbeben von Lissabon 1755 wächst das Wissen um die naturwissenschaftlichen Ursachen solcher Katastrophen.
Die erdgeschichtliche Forschung führt im 18. Jahrhundert zur Erkenntnis, dass die Erde sehr viel älter als die Geschichte des Menschen ist und dass sie die längste Zeit ohne den Homo sapiens existiert hatte. Darstellungen von Urlandschaften werden ab dem 19. Jahrhundert populär. Sie zeigen, wie man sich die Welt vor dem modernen Menschen vorstellte. Dass es auch eine Natur nach dem Menschen geben wird, verdeutlicht eine Fotoserie aus dem Jahr 2016 mit Aufnahmen aus Tschernobyl, die von Pflanzen über-
wucherte Hausruinen festhält.
Eine zweite „Demütigung“ folgt mit der Forschung zur Abstammung von Mensch und Affe. Die faszinierende und zugleich schockierende Ähnlichkeit zwischen beiden Spezies befördert das Interesse an der Mensch-Tier-Beziehung. Der Orang-Utan scheint die viel diskutierte Lücke zwischen Mensch und Tier zu schließen.
Die Natur bewahren: Zusammenleben von Mensch, Tier und Natur
Die aufschlussreiche Diskussion leitet über zur letzten Ausstellungs Sektion, die sich mit den Herausforderungen des Arten- und Naturschutzes und den Möglichkeiten eines künftigen Zusammenlebens beschäftigt. Gibt es einen Weg zurück zum biblischen Paradies, wie es ein Gemälde von Roelant Savery beschwört, das 1625 vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Kriegs entstand? Es zeigt einen idyllischen Paradiesgarten mit Pflanzen und Tieren in harmonischer Eintracht und dem ersten Menschenpaar unauffällig im Hintergrund. Doch im Himmel ziehen bereits dunkle Wolken auf, die auf die Hybris des Menschen und die göttliche Strafe verweisen.
Paradiesische Orte und frühe Formen des Urban Gardening kultiviert man in Nürnberg schon seit mehr als 300 Jahren. Wieder lassen sich Brücken in die Gegenwart schlagen, zu den Bemühungen um die Begrünung des Stadtbildes, um regionale Anbauflächen und kurze Transportwege. Im Germanischen Nationalmuseum wurden unter Beteiligung der Stadtkultur im Frühjahr 2024 Beete im Klosterhof angelegt, in denen nun Kräuter und alte Obst- und Gemüsesorten gedeihen.
Zu einem Zusammenleben auf Augenhöhe sollen auch die Rechte beitragen, die der Natur – ausgewiesenen Flüssen, Bergen oder Küstengebieten – weltweit zugewiesen werden. Künftig kann die Natur als Rechtssubjekt ihre Bedürfnisse vor Gericht einklagen. Was sie von uns erwartet, fassen die Niederländer Jeroen van der Most und Peter van der Putten zusammen, in dem sie die Natur am Ende der Ausstellung selbst zu Wort kommen lassen. Eine wandfüllende Installation präsentiert KI-generierte Briefe, in denen Meere, Wälder und Wüsten ihre Wünsche an die Menschheit äußern. Es sind Bitt- briefe, berührende Gedichte oder kurze Texte im Telegrammstil, die sich mitunter an konkrete Personen aus Politik und Wirtschaft richten.
Wie wollen wir zusammenleben? Die Ausstellung wirft einen weiten Blick zurück in die Kulturgeschichte und trägt Bilder und Vorstellungswelten zusammen, die uns zu neuen Formen einer rücksichtsvollen Mensch-Natur-Beziehung inspirieren. Sie sollen Mut machen, unsere inneren Bilder und Haltungen im Hinblick auf ein gedeihliches Zusammenleben zu verändern.