Waschbär bedroht heimische Arten

Waschbär
Foto DAN GOLD/UNSPLASH

Mit seinen Knopfaugen wirkt er äußerst putzig: Der Waschbär. Doch der invasive Jäger ist für den Rückgang vieler Reptilien- und Amphibien-Arten verantwortlich.

29.08.2023 · News · Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung · Lebenswissenschaften · Forschungsergebnis

Im Rahmen des Verbundprojektes ZOWIAC (Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver Carnivoren) hat ein Team rund um den Parasitologen Prof. Dr. Sven Klimpel das Jagdverhalten von Waschbären in ausgewählten Naturschutzgebieten untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die invasiven Raubtiere in bestimmten Gebieten eine bestandsbedrohende Auswirkung auf unterschiedliche, teilweise stark gefährdete Amphibien- und Reptilienarten haben.

Ob eine invasive Art zur „Problemart“ wird, hängt in starkem Maße von regionalen, ökologischen oder nutzungsbezogenen Bedingungen ab. „So ist das auch beim – ursprünglich in Nordamerika heimischen und bei uns als invasive Art geführten – Waschbären (Procyon lotor). Seine hohe Ausbreitungsfähigkeit und generalistische Ernährungsweise führt dazu, dass die Art fast alle natürlichen Lebensräume besiedeln kann“, erläutert Prof. Dr. Sven Klimpel vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt, der Goethe-Universität Frankfurt und dem LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik und fährt fort: „In diesem Zusammenhang gibt es schon länger den Verdacht, dass Waschbären für den Rückgang zahlreicher einheimischer Reptilien- und Amphibien-Arten in bestimmten Gebieten mit verantwortlich sind.“

Um dieser Vermutung nachzugehen hat das Team um Klimpel in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Amphibien- und Reptilienschutz in Hessen e. V. (AGAR), dem NABU Main-Kinzig-Kreis, dem Naturschutzbeauftragten von HessenForst sowie Vertreter*innen der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V. (HGON) und im Rahmen des ZOWIAC-Projektes das Jagdverhalten von Waschbären in ausgewählten Naturschutzgebieten in Hessen sowie in Brandenburg und Sachsen-Anhalt erfasst. Ziel der Untersuchung war es, Auswirkungen und mögliche Konfliktfelder, welche mit der zunehmenden Ausbreitung der Waschbären entstehen, zu identifizieren und Handlungsempfehlungen auf lokaler und landesweiter Ebene zu ermöglichen.

„Wir konnten mittels modernster genetischer Analysemethoden eindeutig nachweisen, dass Grasfrösche (Rana temporaria), Erdkröten (Bufo bufo) und Gelbbauchunken (Bombina variegata) zu den Beutetieren von Waschbären zählen“, erklärt Klimpel. Ein Mageninhalt des Raubtieres aus einem Laichgebiet im Spessart bestand vollständig aus Erdkrötengewebe. Fraßspuren um die Laichgründe deuteten laut den Expert*innen zudem darauf hin, dass Waschbären dazu fähig sind Erdkröten vor dem Verzehr zu häuten, um deren Giftdrüsen auszuweichen. „In einem Naturschutzgebiet in Osthessen wurden in einer Stunde über 400 gehäutete Kröten gezählt – ein wirklich deprimierender Rekord“, erzählt Timo Spaniol, Gebietsbetreuer vom NABU Main-Kinzig-Kreis und der AGAR.

In weitergehenden Laboruntersuchungen an der Goethe-Universität konnte der Nachweis erbracht werden, dass Waschbären auch einheimische Schlangen erbeuten – in den Mageninhalten der Tiere wurden Gewebereste und Knochen von Ringelnattern (Natrix natrix) gefunden. Im Untersuchungsgebiet Rheingau-Taunuskreis fand das Team zudem eine während der Eiablage gefressene Äskulapnatter (Zamenis longissimus). Annette Zitzmann, Projektleitung der AGAR ist alarmiert: „Es wurde Waschbär-DNA sowohl auf der Schlange als auch an den geöffneten Eiern nachgewiesen. Die Äskulapnatter ist sehr selten und wird in den Roten Listen als ‚stark gefährdet‘ eingestuft. Naturschutzrechtlich ist sie streng geschützt.“

Beobachtungen von amtlichen und ehrenamtlichen Naturschutzbeauftragten deuten zusätzlich darauf hin, dass Bergmolche (Ichthyosaura alpestris), Wechselkröten (Bufotes viridis) und sogar Feuersalamander (Salamandra salamandra) auf dem Speiseplan der Waschbären stehen. „Insbesondere die letzten beiden Arten sind besonders geschützt und könnten bei einem massivem Fraßdruck durch den Waschbären innerhalb kürzester Zeit in bestimmten Gebieten so stark dezimiert werden, dass Populationen sich nicht mehr reproduzieren können und lokal verloren gehen“, stellt Klimpel fest. ZOWIAC-Projektleiter Norbert Peter von der Goethe-Universität ergänzt: „Wir sehen einen Prädationsdruck auf geschützte Amphibien und Reptilien in bestimmten Gebieten, der für diese Arten teilweise bestandsbedrohend ist. Zwar sind die bestehenden naturschutzrechtlichen Vorgaben der EU und des Bundes geeignet, um Reptilien und Amphibien lokal in ihrem Bestand zu erhalten – doch stoßen diese an ihre Grenzen, wenn zusätzliche Bedrohungen hinzukommen. In diesem Kontext beeinflusst der Waschbär heimische Ökosysteme eindeutig negativ.“

Die Forschenden fordern, dass kontinuierliche und flächendeckende Daten zur Verbreitung, den Habitatsansprüchen, der (Nahrungs-)Ökologie und der Parasitierung erhoben werden, um zukünftige Auswirkungen und die fortschreitende Verbreitung von Waschbären und von anderen gebietsfremden Arten frühzeitig erkennen zu können. Schutzmechanismen und Schutzwerkzeuge zum Management invasiver Arten dürften nicht statisch sein, sondern müssten regelmäßig geprüft und angepasst werden, um dem übergeordneten Ziel – dem Schutz der Artenvielfalt – gerecht zu werden, so das Team.

„Es ist notwendig, neue Wege zu gehen und um staatliche Finanzierungshilfen für den Naturschutz sowie für bereits bestehende Projekte zu werben, damit bedrohte heimische Arten erhalten bleiben. Dabei reicht es nicht nur lokale Gebiete zu untersuchen. Wir freuen uns daher, dass das Verbundprojekt ZOWIAC zur Erforschung von Invasionsprozessen solcher gebietsfremden Fleischfresser und deren Auswirkungen auf heimische Ökosysteme nun auch den europäischen Raum in den Blick nimmt. Erst kürzlich haben wir unsere englischsprachige Webseite online gestellt, ebenso findet am 14. und 15. September die ZOWIAC-Konferenz statt, um den Invasionsprozess zusammen mit Fachleuten verschiedenster Gebiete sowie einem interessierten Publikum zu erörtern“, schließt Klimpel.

Weitere Informationen und Kontakt

Pressemitteilung der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN)