
Nürnberg GLOBAL

Eine Sonderausstellung blickt auf die Anfänge der Globalisierung – mit Fokus auf das schon im Mittelalter gut vernetzte Nürnberg.
06.10.2025 · HP-Topnews · Germanisches Nationalmuseum · Lebenswissenschaften · Projekte
Nürnberg GLOBAL 1300-1600
Sonderausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg
25.09.2025 - 22.03.2026
Goldpokale mit Meeresschnecken aus dem Indischen Ozean, duftende Gewürze des globalen Südens oder kostbare Bodenschätze in bisher unvorstellbarer Fülle: Die große Jahresausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg blickt auf die Anfänge der Globalisierung. Der Fokus liegt auf der Reichsstadt Nürnberg, auf ihren damaligen Handelsbeziehungen und ihrer Bedeutung als intellektuelles Zentrum Europas. Denn Nürnberg spielte eine entscheidende Rolle für die Entstehung globaler Netzwerke – über die Häfen Venedigs, Spaniens und Portugals reichten die Verbindungen bis nach Asien und Amerika.
In der Dauerausstellung steht der berühmte Behaim-Globus für diese bahn- brechende Zeit. Er zeigt einen spezifisch europäischen Blick auf die Welt, die sich nach der Expeditionsfahrt des Kolumbus‘ für globale Geschäfte öffnete. „Ein Weltbild ist deshalb nicht nur kartografisch konditioniert“, betont Generaldirektor Prof. Dr. Daniel Hess. „Es basiert auf dem jeweiligen kulturellen Erbe und den damit verbundenen historischen Narrativen, mit denen wir uns und die Anderen verorten. Die Globalisierung zu verstehen bedeutet deshalb, Zusammenhänge, aber auch Widersprüche in den eigenen und fremden Blicken auf die Welt zu sehen und zu verstehen. Dazu lädt die Ausstellung ein.“
Sie beginnt mit einer der spektakulärsten Leihgaben: einer reich verzierten Schale mit außergewöhnlich geformter Kanne. Die Schale besteht in ihrem Kern aus Holz und wurde im 16. Jahrhundert im westindischen Gujarat mit Perlmutterplättchen besetzt. Dann ging sie auf große Reise: Per Schiff gelangte das Becken entlang der Küste Afrikas bis nach Lissabon und von dort weiter nach Nürnberg. Hier fügte der Goldschmied Nicolaus Schmidt, ein Schüler des berühmten Wenzel Jamnitzer, der Schale ein reiches Dekor aus Nymphen und antiken Flussgöttern hinzu – und ergänzte sie um eine Kanne in Gestalt eines drachenähnlichen Mischwesens, in die er wiederum Meeresschnecken aus dem Indischen Ozean integrierte. Ein Zwischenhändler bot die Garnitur auf der Leipziger Messe an, wo sie vom Sächsischen Hof erworben wurde. Heute befindet sich das prunkvolle Ensemble im Grünen Gewölbe in Dresden, das es für die Nürnberger Schau lieh.
Nürnberg war im 14. und 15. Jahrhundert bekannt für seine metallverarbeitenden Gewerbe, vor allem für kostbare Gold- und Silberschmiedearbeiten. Kirchen und bedeutende Herrscherhäuser in ganz Europa erwarben hier Monstranzen, Weihrauchgefäße oder seltene Luxusgüter wie in Gold montierte Kokosnüsse, Straußeneier oder Meeresschnecken. Als Nürnberger Spezialität galten und gelten außerdem die sogenannten Beckenschläger-Schüsseln, bei denen das Dekor mit Matrizen in die Metallwand geschlagen wird. Diese Technik ermöglicht eine quasiserielle Fertigung, Motive konnten mehrfach reproduziert und neu miteinander kombiniert werden. Die serielle Massenware entwickelte sich schnell zum Exportschlager und findet sich heute in Sammlungen von Schweden bis Spanien.
Nürnbergs Bedeutung im Heiligen Römischen Reich
Die Bedeutung Nürnbergs für das Heilige Römische Reich war erheblich, seit dem Hochmittelalter förderten Herrscher die Stadt. Die prosperierende Handelsmetropole entrichtete hohe Steuerabgaben und profitierte im Gegenzug von kaiserlichen Privilegien. Mit den regelmäßigen Aufenthalten des Königshofs und den ab 1356 in Nürnberg stattfindenden Reichstagen kamen einflussreiche Persönlichkeiten in die Stadt. Seit 1424 wurden auf Geheiß Kaiser Sigismunds die Reichskleinodien – die Reliquien und der Krönungsschatz der römischdeutschen Könige – dauerhaft hier verwahrt. Mit Albrecht Dürer lebte außerdem einer der wenigen, neben Leonardo da Vinci schon damals international bekannten Künstler Europas in der Reichsstadt.
Auf die wirtschaftliche Prosperität verweist in der Ausstellung die sogenannte Erzstufe der Familie Scheurl, ein künstliches Miniaturbergwerk aus Kristallen, Mineralien und Erzen, aber auch Muscheln und Korallen. Neben dem Fernhandel verdankten die Patrizierfamilie ihren Reichtum vor allem dem Bergbau, für dessen hochmoderne und innovative Technik die Stadt Nürnberg bekannt war. Ihr Wissen trugen die Unternehmer in die Welt, sogar auf Kuba betrieb ein Nürnberger Patrizier Kupferminen. Zu den gewonnene Rohstoffen gehörten Gold und Silber, aus denen der Nürnberger Hans Pezolt, neben Wenzel Jamnitzer einer der berühmtesten Goldschmied seiner Zeit, einen Pokal für die Familie Imhoff schuf – mit Bergbauszenen als Dekor.
Luxus und Inspiration aus fernen Ländern
Neben exquisiten Preziosen waren Waffen und Rüstungen ein gefragtes Nürnberger Exportgut, auch sie finden sich bis heute in allen bedeutenden europäischen Waffensammlungen. Vom Panzerhemd bis zu Stangenwaffen sind Beispiele in der Ausstellung zu sehen, außerdem als Kunstkammerstück ein bemalter Schildkrötenpanzer. Auch mit in Europa nicht heimischen Pflanzen und Gewürzen vermochte man zu beeindrucken. Selten ausgestellt ist das großformatige Pflanzenbuch des Apothekers Georg Öllinger, das 1553 entstand. Die Möglichkeit, Dinge aus fernen Ländern erwerben zu können, galt als Indikator von Reichtum und Luxus. Gewürze aus Südasien wurden im großen Stil gehandelt. Briefe, die über das baldige Eintreffen reich beladener Schiffe in den Häfen Südeuropas und die Qualität der Ware informierten und zum schnellen Kauf oder Verkauf alter Bestände rieten, zeugen von dem gut ausgebauten Nachrichtennetz, dessen Fäden in Nürnberg zusammenliefen.
Nürnberg fungierte als Bindeglied zwischen wichtigen Städten in West- und Osteuropa. Nürnberger Patrizierfamilien erwarben Stoffe bei Tuchhändlern in Flandern und Brabant, betrieben Bergbau in Böhmen und lieferten Gewürze nach Schlesien. Ihre Gewinne investierten sie nicht selten in kostspielige Kunststiftungen. Für die Elisabethkirche in Breslau stiftete ein Mitglied der Familie Imhoff, die dort eine Handelsniederlassung unterhielt, ein prächtiges Marienretabel, das nun als Leihgabe des Nationalmuseums in Warschau nach Nürnberg gekommen ist. Einen prächtigen, knapp drei Meter hohen Teppich erwarb einst die Familie Holzschuher in Brüssel. Die Wirkerei ist von höchster Qualität, eine vergleichbare Arbeit sicherte sich das spanische Herrscherhaus für seine königliche Sammlung in Madrid. Der Holzschuher-Grabteppich verdeutlicht damit den Anspruch der altehrwürdigen Nürnberger Patrizierfamilie.
Eng waren auch die Beziehungen zu Italien, insbesondere zur Handelsstad Venedig, im 15. und 16. Jahrhundert eine der reichsten und größten Städte der Welt. Dort machte die Ende des 16. Jahrhunderts fertiggestellte Rialtobrücke Furore, die einbogig den Canale Grande überspannte – eine Meisterleistung der Ingenieurskunst. Der Bau muss die Aufmerksamkeit der Nürnberger erregt haben, denn ihre Warenlager befanden sich in unmittelbarer Nachbarschaft im Fondaco dei Tedeschi. Auch der Nürnberger Ratsbaumeister Wolf Jacob Stromer, der in Oberitalien studiert hatte, war in Venedig. In seinem Nachlass fand sich ein Modell der Rialtobrücke, das die bauliche Konstruktion verrät und als Vorbild für die Fleischbrücke in Nürnberg diente, für deren Bau Stromer verantwortlich zeichnete.
Seelenheil als Motivation des Reisens
Doch nicht nur aus materiellen Gründen wurde gereist. Jerusalem gehörte seit jeher zu den bedeutendsten Pilgerzielen des Christentums. Eine Pilgerreise dorthin versprach Prestige und Seelenheil. Doch nur ein kleiner, privilegierter Kreis verfügte über die Mittel. Für alle anderen war man bemüht, Jerusalem sowohl bildlich als auch baulich nach Europa zu bringen, in Form von Kreuzwegstationen und Heilig-Grab-Kapellen. In der Ausstellung steht dafür die Szene von Christus am Ölberg, lebensgroße Steinfiguren, einst geschaffen für die Nürnberger Klarakirche. Jerusalem war ein weit entferntes Sehnsuchts-Reiseziel und markierte für viele Menschen in Europa die Grenze der vorstellbaren Welt. Um so mehr faszinierten Kontakte und Artefakte darüber hinaus aus dem Osmanischen Reich. Seit der Eroberung Konstantinopels 1453 verfolgte man im christlichen Europa das sich verändernde Machtgefüge mit großer Aufmerksamkeit. Auf der einen Seite fürchtete man die Osmanen, vor deren Expansionsdrang und brutaler Kampfkraft propagandistische Flugblätter warnten.
Zugleich faszinierte die osmanische Kultur, vor allem die ornamentalgeschwungene Schrift. Ein Rundschild Kaiser Sigismunds II. oder auch Holzschnitte Albrecht Dürers, die sogenannten „Knoten“, belegen die Bewunderung für die endlos verschlungenen Ornamente der islamischen Welt.
Indien und Amerika
Über die Iberische Halbinsel reichten Nürnbergs Kontakte weiter bis nach Indien und später Amerika. In intensivem Blau leuchtet der Plan von Tenochtitlán, der alten Hauptstadt des Aztekenreichs. Die Karte gilt als älteste erhaltene Darstellung einer amerikanischen Stadt – und wurde in Nürnberg gedruckt. In der Ausstellung ist ein Prachtexemplar der Karte zu sehen, das in strahlendem Ultramarin koloriert ist, einem Pigment aus Afghanistan. In Nürnberg kamen Handelsreisende, Pilger, Abenteurer, Humanisten und wohlhabende Geschäftsleute zusammen, hier traf europä-isches Wissen auf Neuigkeiten aus Afrika, Asien und Amerika. Nicht zufällig entstanden Werke wie der Tenochtitlán-Plan oder der älteste erhaltene Globus der Welt – der Behaim-Globus – in Nürnberg. Dank eines florierenden Verlagswesens verbreitete sich dieses Wissen in ganz Europa. Eine globalhistorische Ikone und sicherlich eines der bekanntesten Kunstwerke überhaupt ist Albrecht Dürers Rhinocerus, ein Holzschnitt, den der berühmte Nürnberger Meister 1515 anfertigte. Die Geschichte war eine Sensation: Ein Nashorn, die legendenumwobene Kreatur, von dessen Existenz man durch den antiken Autor Plinius wusste, war nach Europa gelangt.
Als diplomatisches Geschenk des Sultans von Gujarat in Westindien war es entlang der Küste Afrikas bis nach Lissabon zum portugiesischen König Manuel I. verschifft worden. Die schiere Existenz des zwei Tonnen schweren Tieres war für die Menschen in Europa der lebende Beweis, dass die Wundererzählungen über das ferne Indien der Wahrheit entsprechen mussten. Während das Nashorn per Schiff weiter nach Rom als Geschenk für Papst Leo X. reiste und vor der Küste Liguriens ertrank, überlebte es in Dürers Holzschnitt. Seine Darstellung bestimmte über Jahrhunderte die
europäische Vorstellung dieses faszinierenden Tieres. Sie wurde zum wohl berühmtesten Zeugnis des kulturellen Austauschs zwischen Indien und Mitteleuropa in der Frühen Neuzeit.
Der Austausch verlief auch in anderer Richtung: Figuren nach Dürer finden sich beispielsweise als Randzeichnungen in indischen Handschriften. Die Ausstellung präsentiert eine Seite aus dem prächtigen Jahangir-Album als kostbare Leihgabe der Staatsbibliothek zu Berlin. Dürers Rhinocerus gelangte sogar bis in die Anden Südamerikas. Dort, in der Stadt Tunja, ließ ein Buchgelehrter die Decke seines Wohnhauses aufwändig ausmalen –mit Gottheiten und zahlreichen Tieren. Die Darstellung des Nashorns geht unverkennbar auf Dürers Holzschnitt zurück.
Schattenseiten der Globalisierung
Die Globalisierung brachte Wissen und Waren und damit Reichtum und Wohlstand nach Europa – aber nicht für alle: Nürnberger Geschäftsleute betrieben Minen in Übersee, beuteten die dort einheimische Bevölkerung aus, beteiligten sich am transatlantischen Versklavungshandel und an der Kolonisierung Amerikas. An der Ostküste Afrikas und in Indien führten sie zusammen mit den Portugiesen blutige Wirtschaftskriege. Die Ausstellung thematisiert auch diese dunklen Seiten der globalen Vernetzung. Neue Sichtweisen und Erkenntnisse rücken die hochkarätigen Leihgaben sowie Werke aus dem eigenen Bestand in ein neues Licht. Sie veranschaulichen Nürnbergs entscheidende Rolle im Zusammenwachsen der Welt, dokumentieren das sich schnell und weiträumig ausbreitende Wissen, bringen das damalige globale Denken und Handeln der Menschen näher und regen zum Nachdenken über die globale Situation der Gegenwart an.