„Wir werden die ganze Pracht entdecken“

Der rotierende Neutronenstern Pulsar PSR B0656+14 in der Mitte einer Aufnahme, die länger als einen Tag belichtet wurde
Foto AIP/J. KURPAS, AIP/A. SCHWOPE

Kannibalensterne, Schwarze Löcher und Galaxienhaufen: Die ersten Daten des Röntgenteleskops eROSITA gehen an die weltweite Forschungsgemeinschaft.

01.07.2021 · Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften · Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam · News · Forschungsergebnis

Die eROSITA-Kollaboration gibt den ersten Satz von Daten des Röntgenteleskops eROSITA als „Early Data Release“ für die Forschung weltweit frei. Zeitgleich erscheinen 35 wissenschaftliche Veröffentlichungen mit Ergebnissen der ersten Missionsphase. Forschende des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) waren an einem Drittel der Arbeiten wesentlich beteiligt, lieferten Teile der Software zur Datenauswertung, analysierten Beobachtungen von Neutronensternen und Weißen Zwergen sowie die Auswirkungen von Röntgenstrahlen auf die Atmosphären junger Exoplaneten.

Am 14. Juli 2019 machte sich das deutsche Röntgenteleskop an Bord des russischen Satelliten Spektrum-Roentgen-Gamma (SRG) auf den 1,5 Millionen Kilometer langen Weg zu seiner endgültigen Beobachtungsposition. Ein knappes halbes Jahr später nahm es seinen Regelbetrieb auf und tastet seitdem den gesamten Himmel auf der Suche nach neuen Röntgenquellen ab. Damit ermöglicht es eine Inventur des Röntgenhimmels mit nie dagewesener Genauigkeit und Empfindlichkeit.

Schon auf dem Weg zur endgültigen Beobachtungsposition führte eROSITA etwa 100 Beobachtungen an verschiedenen Objekten und Himmelsfeldern durch, die nun der weltweiten Astronomiegemeinde frei zur Verfügung gestellt werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten auf einer Pressekonferenz am 28. Juni bei der Jahrestagung der Europäischen Astronomischen Gesellschaft (EAS) über erste Ergebnisse dieser Beobachtungen aus der Frühphase der Mission, die sie in Fachpublikationen in einer Spezialausgabe der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlichen.

Forschende am AIP tragen federführend vier eigene Publikationen zu den Veröffentlichungen bei und sind an insgesamt einem Drittel dieser Arbeiten maßgeblich beteiligt. Ein Schwerpunkt der jetzt vorgestellten Arbeiten galt der Durchmusterung eines relativ kleinen Himmelsareals von etwa einem 300stel der Fläche des gesamten Himmels. Der Ausschnitt wurde mit derselben Empfindlichkeit beobachtet, die die Durchmusterung erst in einigen Jahren für den gesamten Himmel erreicht. Über 30.000, zuvor meist unbekannte Objekte, wurden darin gefunden. Die neuen Entdeckungen reichen von nahen einzelnen Sternen über Kannibalensterne, die ihren Nachbarn Materie entziehen, und massereichen Schwarzen Löchern in den Zentren von Galaxien bis hin zu Galaxienhaufen, den größten gravitativ gebundenen Strukturen im Universum. „Die Analyse dieses Testfeldes ist für uns wie ein Blick durchs Schlüsselloch. Bald schon jedoch wird die Tür aufgehen und wir werden die ganze Pracht entdecken“, sagt Georg Lamer, Projektwissenschaftler am AIP, der die Software zur Entdeckung der Röntgenquellen beigesteuert hat.

Spezialität des Projektleiters am AIP, Axel Schwope, sind extrem kompakte Objekte, Neutronensterne und Weiße Zwerge, die eROSITA detailliert in der ersten Missionsphase beobachtete. Eine der Beobachtungen, die mehr als einen Tag andauerte, lieferte das Bild eines Neutronensterns, der eine Oberflächentemperatur von bis zu 1,5 Millionen Grad erreicht und deshalb hell im Röntgenlicht strahlt. „Die Analyse dieser extrem langen Beobachtung hat völlig neue Merkmale im Spektrum des Sterns gezeigt, die theoretisch noch völlig unverstanden sind“, zeigt sich Axel Schwope begeistert. „Neue Phänomene, neue Objekte und neue Physik wird eROSITA im Konzert mit anderen Teleskopen aufzeigen und ermöglichen“.

Auch völlig andere astronomische Objekte können mit eROSITA erforscht werden. So hat Grace Foster, die an ihrer Doktorarbeit in der AIP-Abteilung von Prof. Katja Poppenhäger forscht, die Röntgenbestrahlung von Planeten in anderen Sonnensystemen, den sogenannten Exoplaneten, untersucht. „Wenn Exoplaneten von ihrem Zentralstern im Röntgenbereich stark bestrahlt werden, können sie Teile ihrer Atmosphäre verlieren. Für kleinere Exoplaneten kann sogar die komplette Atmosphäre verkochen“, erklärt Grace Foster.

eROSITA (kurz für „Extended Roentgen Survey with an Imaging Telescope Array“) ist ein Röntgenteleskop, das von einem deutschen Konsortium unter der Leitung des MPE gebaut wurde. Das AIP trägt Software zur Datenauswertung bei, wobei der Schwerpunkt auf der Lagebestimmung des Satelliten und der Detektion der Röntgenquellen am Himmel liegt. Das AIP lieferte auch Flughardware für die Filterräder der Kamera und die gesamte Ausrüstung des mechanischen Bodensegments für die Integration und die Tests des Röntgenteleskoparrays.

Weitere Informationen und Kontakt

www.aip.de