Das Alter der einsamen Sterne

Aufnahme von Sternen
Foto AIP/NASA/DAVID GRUNER

Wie alt ist ein Stern? Diese Frage ist besonders knifflig, wenn sich Sterne außerhalb von Sternenhaufen befinden. Eine neue Methode nutzt rotationsbedingte Helligkeitsschwankungen.

24.07.2023 · News · Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam · Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften · Forschungsergebnis

Forschenden des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) und der Boston University ist es gelungen, einen Zusammenhang zwischen den Rotationsgeschwindigkeiten von Sternen in und außerhalb von Sternhaufen, sogenannten Feldsternen, herzustellen, aus dem sich deren Alter ableiten lässt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Methode der Gyrochronologie nicht nur auf Sternhaufen, sondern auch auf Feldsterne angewandt werden kann, so dass es nun möglich ist, das Alter vieler weiterer Sterne zu bestimmen.

Wie alt ist ein Stern? Dies ist eine schwierige Frage, die für einen Stern in einem Sternhaufen leichter zu beantworten ist. Das liegt daran, dass alle Sterne in einem Sternhaufen – unabhängig von ihrer Größe – den gleichen Ursprung und damit das gleiche Alter haben. Durch die Untersuchung der Eigenschaften der Sterne in einem Haufen und ihrer aktuellen Entwicklungsstadien kann man das Alter des Sternhaufens und damit das Alter seiner Sterne gut abschätzen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erkunden nun das neue Gebiet der Gyrochronologie, mit der sich das Alter einzelner Sterne bestimmen lässt. Diese Methode stellt einen Zusammenhang zwischen der Rotation eines Sterns und seiner Farbe sowie seinem Alter her. Die Rotationsperiode, mit der sich ein Stern um seine Achse dreht, lässt sich aus der Beobachtung seiner Helligkeit bestimmen: Viele Sterne haben auf ihrer Oberfläche dunkle Flecken, ähnlich wie die Sonnenflecken der Sonne. Wenn ein Stern rotiert und ein Sternfleck ins Sichtfeld einer Beobachterin gerät, dann nimmt die Helligkeit des Sterns um einen kleinen Bruchteil ab. Durch Messung dieser kleinen Einbrüche in der Lichtintensität des Sterns und wann sich diese wiederholen, z. B. mit Daten des Kepler-Satelliten, wie sie hier verwendet wurden, kann die Rotationsperiode eines Sterns gemessen werden.

Studien an massearmen Zwergsternen in Sternhaufen haben gezeigt, dass Sterne mit zunehmendem Alter immer langsamer rotieren. Trägt man die Rotationsperioden von Sternen gegen ihre Farben in einem Diagramm auf, ergibt sich ein charakteristisches Muster: Die Haufensterne bilden geschwungene Linien, die zusammen ein Skelett der Rotationsentwicklung definieren. Dabei entspricht jede Rippe des Skeletts einem Haufen eines bestimmten Alters. Ältere Haufen definieren nacheinander die höheren Rippen. Jede Rippe entspricht also einer Kurve gleichen Alters. Zeichnet man nun einen Stern aus einem Sternhaufen in das Diagramm ein, lässt sich anhand dieser Linien sein Alter ablesen. Diese Methode wurde auf der Grundlage von Sternhaufen entwickelt; daher war es bisher nicht klar, ob diese Art der Altersbestimmung auch für Sterne außerhalb von Sternhaufen, die die überwältigende Mehrheit der Sterne unserer Galaxis ausmachen, funktioniert.

Hier setzt die jüngste Arbeit an. Die Autoren untersuchten mehr als 300 weit auseinander liegende Doppelsterne. Dabei handelt es sich um Systeme aus jeweils zwei einander umkreisenden Sternen, die weit genug voneinander entfernt sind, um sich in ihrer normalen Rotationsentwicklung nicht gegenseitig zu stören. Solche Doppelsterne sind Feldsterne, aber aufgrund ihres gemeinsamen Ursprungs kann man wie bei Sternhaufen davon ausgehen, dass sie dasselbe Alter haben. Wenn sich nun Feldsterne tatsächlich auf die gleiche Weise entwickeln wie Haufensterne, dann sollten die beiden Sterne eines Doppelsterns ein konsistentes Bild ergeben, wenn sie im Diagramm eingetragen werden. Mit anderen Worten: Wenn ein Stern eines weiten Doppelsternsystems auf der Rotationsrippe eines bestimmten Sternhaufens liegt, würde dann der andere auch auf der gleichen Rippe liegen? Gelten also die von Sternhaufen abgeleiteten Alterslinien auch für weite Doppelsterne? Die Autoren der Studie fanden heraus, dass dies eindeutig der Fall ist.

Tatsächlich konnten die Autoren die von ihnen untersuchten Doppelsterne in eine Reihe von Untergruppen aufteilen, die jeweils mit einem Sternhaufen eines bestimmten Alters verknüpft sind. David Gruner, Hauptautor der Studie und Doktorand am AIP in der Gruppe Stellare Aktivität, sagt dazu: „Es war überraschend zu sehen, wie gut alle unsere weiten Doppelsternsysteme zusammenpassten, als wir begannen, sie mit dem Haufenskelett zu vergleichen. Sogar Systeme mit Sternen sehr unterschiedlicher Massen zeigten eine bemerkenswerte Übereinstimmung in ihren Positionen im Diagramm, bis zu dem Punkt, dass sie praktisch nicht von den Sternhaufen zu unterscheiden sind.“

Die wenigen Sterne, die oberhalb der Ansammlung von Haufenrippen liegen, sind vermutlich älter als die bisher gemessenen Sternhaufen. Darüber hinaus zeigten die Autoren, dass bei der großen Mehrheit der untersuchten Systeme das aus der Rotation bestimmte Alter eines Sterns mit dem Rotationsalter des zweiten Sterns im Doppelsternsystem übereinstimmt. Da die Stichprobe an Sternen sehr vielfältig war, sowohl in ihrer Verteilung über den Himmel als auch in ihren anderen stellaren Eigenschaften, z. B. Metallizität, impliziert das Ergebnis, dass die Gyrochronologie wahrscheinlich auch für Feldsterne zuverlässig eingesetzt werden kann.

Dr. Sydney Barnes, Leiter der Gruppe Stellare Aktivität am AIP, fügt hinzu: „Diese Arbeit bietet ein gewisses Maß an Sicherheit, dass in Zukunft zuverlässige Altersangaben für eine viel größere Anzahl von Feldsternen anhand ihrer Rotationsraten ermittelt werden können.“ Dieses Ergebnis wird für die PLATO-Satellitenmission von Bedeutung sein, deren Ziel es ist, nicht nur eine große Anzahl von Sternen zu entdecken, die Planeten beherbergen, sondern auch deren Alter zu bestimmen, was erste Einblicke in die Entwicklungsgeschichte von Exoplaneten ermöglicht.

Originalveröffentlichung

Wide binaries demonstrate the consistency of rotational evolution between open cluster and field stars. D. Gruner, S. A. Barnes and K. A. Janes. A&A, 675 (2023) A180

DOI: https://doi.org/10.1051/0004-6361/202346590

Weitere Informationen und Kontakt

Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP)