Tödlicher Temporausch

Autowrack im Deutschen Museum: Der Jeep von Michael Warshitsky, der am 1. Februar 2016 als Opfer eines illegalen Autorennens in Berlin starb.
Foto DEUTSCHES MUSEUM, MÜNCHEN | REINHARD KRAUSE

Illegale Autorennen sind auf Deutschlands Straßen fast alltäglich geworden. Wie es soweit kommen konnte und was man dagegen tun kann, fragt eine neue Sonderausstellung in München.

01.06.2023 · News · Deutsches Museum · Geisteswissenschaften und Bildungsforschung · Forschungsergebnis

Sonderausstellung „Wahnsinn – Illegale Autorennen“
26.05.2023 bis 20.05.2024, Verkehrszentrum des Deutschen Museums, München

2017 wurde erstmals ein Raser wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, der bei einem illegalen Rennen in Berlin einen tödlichen Unfall verursacht hatte. Der Wagen, in dem damals Michael Warshitsky starb, ist das zentrale Objekt einer neuen Sonderausstellung im Verkehrszentrum des Deutschen Museums. „Wahnsinn – Illegale Autorennen“ beleuchtet von 26. Mai 2023 bis 20. Mai 2024 verschiedene Aspekte rund um den tödlichen Temporausch. Die Ausstellung wurde von der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin in Zusammenarbeit mit der Polizei konzipiert.

Es ist ein neuer Negativrekord: Für 2022 hat die Polizei 605 illegale Rennen auf Bayerns Straßen erfasst. Vier Menschen kamen dabei ums Leben, 128 wurden verletzt. „Die tödliche Raserei ist fast alltäglich geworden“, sagt Bettina Gundler, Leiterin des Verkehrszentrums. „Da stellt sich doch die Frage: Woher kommt dieser Temporausch? Und was kann man dagegen tun?“ Um darauf Antworten zu finden, hat das Team des Verkehrszentrums die neue Sonderausstellung „Wahnsinn – Illegale Autorennen“ nach München geholt. „Die Kollegen von der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin haben dabei in Zusammenarbeit mit der Polizei die verschiedensten Aspekte in den Blick genommen – von den gesellschaftlichen Wurzeln in unserer automobilen Kultur bis zur Verschärfung von Gesetzen und Entschleunigung auf den Straßen.“

Neben vielen kleineren Objekten, Schautafeln und Filmen ist auch ein originales Unfallwrack aus einem illegalen Autorennen zu sehen. Es ist das zentrale und sicherlich eindrücklichste Stück der Ausstellung – ein pinklilafarbener Jeep: Die Frontscheibe ist gesplittert, das Dach ist zerfetzt. Man sieht den erschlafften Airbag und Einkaufstüten, die beim Unfall an Bord waren. Die Motorhaube fehlt und gibt den Blick frei auf ein Chaos aus Kabeln, Schläuchen, Batterierest und anderen Kunststoff- und Metallteilen. In diesem Wagen starb im Februar 2016 Michael Warshitsky, als er bei Grün auf eine Kreuzung fuhr und mit einem der beiden Kudamm-Raser zusammenkrachte, die sich gerade mit Tempo 160 auf dem Kurfürstendamm in Berlins Innenstadt ein Rennen lieferten.

Der schreckliche Unfall veränderte die Rechtsprechung und hatte ein klares Urteil zur Folge. Die beiden Fahrer kamen – erstmals wegen Mordes bzw. versuchten Mordes – für lange Zeit ins Gefängnis. Zudem wurde der Strafrechtsparagraf für illegale Autorennen und Raserfälle verschärft. „Auch in München wurde erst 2021 ein Raser wegen Mordes verurteilt, der Ende 2019 einen 14-Jährigen totgefahren hatte“, sagt Lukas Breitwieser. Der Kurator des Verkehrszentrums hat für die Ausstellung zusätzlich Daten aus Bayern zusammengetragen. „Leider ist die Tendenz bei den Fallzahlen auch hier steigend“, sagt Breitwieser.

Das könnte zum Teil an den Leitbildern liegen: „Schneller fahren als andere, Nervenkitzel und Geschwindigkeit gelten noch immer als cool. In unserer Gesellschaft werden seit Anbeginn des Automobilzeitalters Geschwindigkeitsrekorde und Wettkampf verherrlicht, oft verbunden mit antiquierten Männlichkeitsidealen“, sagt Bettina Gundler. „Wir sehen oft genug auch heute noch in Musikvideos die starken Typen, die in ihren Boliden von leichtbekleideten Frauen angehimmelt werden.“ 

Auch fehlendes Risikobewusstsein und Selbstüberschätzung spielen bei den waghalsigen Fahrten eine große Rolle. Dazu kam die „PS-Spirale“ in den 1990er-Jahren, als die Autohersteller die Leistung und Schnelligkeit ihrer Modelle weiter hochschraubten. Und dank Leasing- und Mietangeboten können sich auch immer mehr Menschen – zumindest auf Zeit – hochmotorisierte Flitzer leisten. „Die Grenzen des Absurden werden dort erreicht, wo sich Temposüchtige aus aller Welt in Deutschland als Touristen ein Rundum-Sorglos Paket mit schnellem Wagen einkaufen, um auf Straßen mit und ohne Tempolimit ihrem Geschwindigkeitsdrang buchstäblich freien Lauf zu lassen – ohne Rücksicht auf den Verkehr.“  

Um den Temporausch zu stoppen, gibt es vielerlei Ansätze: angefangen von schärferen Gesetzen und strengerer Strafverfolgung über eine verbesserte Verkehrserziehung bis zu automatischen Geschwindigkeitsbeschränkungen im Fahrzeug. Aber kann ein durch Technik verursachtes Problem durch mehr Technik gelöst werden? Beschneiden Fahrassistenzsysteme die mobile Freiheit? Braucht es mehr Kontrolle oder reichen generelle Tempolimits für eine entschleunigte Fahrkultur? „Das sind ganz grundsätzliche Fragen, die in unserer Gesellschaft durchaus kontrovers beantwortet werden“, sagt Bettina Gundler. „Wir möchten die Menschen gerne einladen, darüber mitzudiskutieren.“ Dafür gibt es einen kleinen Bereich in der Sonderausstellung, wo Besucher und Besucherinnen ihre Meinung rund um illegale Autorennen und den Temporausch äußern können.

Die Sonderausstellung „Wahnsinn – Illegale Autorennen“ ist von 26. Mai 2023 bis 20. Mai 2024 auf der Theresienhöhe in Halle III zu sehen. Am 18. Juni, am 23. Juli und am 24. September stellt die Münchner Polizei dazu jeweils von 11 bis 16 Uhr einen Fahrsimulator im Verkehrszentrum auf, in dem man sein Reaktionsvermögen in kritischen Verkehrssituationen testen kann.

Weitere Informationen und Kontakt

PRESSEMITTEILUNG DES DEUTSCHEN MUSEUMS (DM)