Daten lauschen

Ausstellungsraum der Ausstellung "Daten lauschen"
Foto HELENA GREBE/DSM

Moderne Messinstrumente ermöglichen die Gewinnung etlicher Daten in der Meeresbiologie. Eine neue Ausstellung verarbeitet die dabei entstehenden physischen Emissionen in Tönen, Bildern und Videos.

08.06.2022 · News · Deutsches Schifffahrtsmuseum - Leibniz-Institut für Maritime Geschichte · Geisteswissenschaften und Bildungsforschung · Forschungsergebnis

Wir können sie weder anfassen, noch hören, riechen oder schmecken – Daten, die über Messinstrumente im Meer erhoben werden. Der Künstler Prof. Hannes Rickli verfolgt seit 2012 die digitale Datenarbeit von Biolog:innen, die am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) das Verhalten von Fischen im Arktischen Ozean untersuchen. In mehreren Installationen verarbeitet er die physischen Emissionen der beteiligten Forschungsgeräte, Infrastrukturen und Landschaften in Tönen, Bildern und Videos: Die Ausstellung DATEN LAUSCHEN ist vom 3. Juni bis 31. Juli 2022 im Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte zu sehen.

Mit dieser künstlerischen Installation erweitert das DSM die bestehenden Ausstellungen CHANGE NOW! und INTO THE ICE im Erweiterungsbau. Beide führen die Wissenschaft und Forschung mit klassischen Mitteln wie Objekten, Text, dokumentierenden Bildern und erläuternden Grafiken ein. Hannes Ricklis Installation ist als immersives Erlebnis gestaltet, das viele Sinne anspricht und ein buchstäbliches „Eintauchen“ in die Datenströme und Feldforschung ermöglicht.

Die Seitenwände der Galerie im ersten Stock des Erweiterungsbaus werden mit großformatigen Bildtafeln zu einem begehbaren Archiv gebaut. Es zeigt den chronologischen Verlauf der Arbeit einer ferngesteuerten Unterwasserstation im Kongsfjord vor Spitzbergen, die 2012 bis 2020 alle 30 Minuten ein stereometrisches Bildpaar aufgenommen hat. Der Fischökologe Prof. Dr. Philipp Fischer vom AWI beobachtet dort, wie sich die Tier- und Pflanzenwelt aufgrund des Klimawandels verändert.

Des Weiteren sind in der Installation Streams elektromagnetischer Geräusche der Stromversorgung und der Kameras sowie Geräusche eines an der Station installierten Hydrophons zu hören. Das hochsensible Unterwassermikrofon überträgt die akustische Kulisse der Umgebung.

Ziel des Schweizer Künstlers ist es, die Rohdaten der Forschung medial in den Ausstellungsraum zu übertragen und sie als Bilder und Töne unmittelbar für das Publikum erfahrbar zu machen. Gäste sollen die Umwelt der Klimafolgenforschung „spüren“. Sie hören Geräuschen von Schiffsmotoren, Tieren, Gletscherbrüchen und Eisbergkollisionen „zu“.

Als Rickli 2005 für ein Kunstprojekt am Bodensee recherchierte, lernte er den AWI-Wissenschaftler Fischer kennen, der damals eine Unterwasserstation RemOs1 im Bodensee bei Konstanz betrieb. Nach dieser Begegnung entwickelten beide Interesse für Medien wie Fotografie, Audio, Computer etc., die sowohl an der biologischen wie auch an der künstlerischen Forschung beteiligt sind. „Als Künstler nehme ich die physische Materialität dieser Medien in den Blick, die ungehörten elektromagnetischen Sounds der digitalen Geräte oder die elektrischen Kurzschlüsse; all die Umstände, die zur Herstellung der wissenschaftlichen Daten beitragen. Die ausgewerteten Diagramme sind in der Klimadebatte dringend nötig, um Veränderungsprozesse zu verstehen und gesellschaftlich zu verhandeln. Den Darstellungen sieht man jedoch die prekären Bedingungen ihrer Entstehung nicht mehr an“, sagt der Medienkünstler, der an der Zürcher Hochschule der Künste lehrt.

Rickli und Fischer entschieden, die Daten aus der Station bei Spitzbergen für ein Kunstprojekt zu nutzen. „Für mich sind Kunst und Naturwissenschaften wie zwei Seiten einer Münze. Es kommt nur darauf an, welche Seite man betrachtet. Ich als Wissenschaftler extrahiere aus einem Bild oder einem Ton eine numerische Größe, beispielsweise die Anzahl unterschiedlicher Arten von Fischen, und leite daraus eine Zahl ab - die Diversität. Aus künstlerischer Perspektive betrachtet ergibt sich ein ganz anderes Bild. Diesen Wechsel des Blickwinkels finde ich als Naturwissenschaftler faszinierend, da er die Möglichkeit erlaubt, über den eigenen Horizont hinaus Neues zu entdecken und die eigene Wahrnehmung immer wieder infrage zu stellen“, sagt Fischer über das Zusammenwirken von Kunst und Wissenschaft im Projekt.

Die Rauminstallation DATEN LAUSCHEN will die Forschungsprozesse in den arktischen Regionen sicht- und erlebbar machen. Gäste dürfen sich über faszinierende visuelle und klangliche Erlebnisse und ein experimentelles Begleitprogramm freuen. „Die Installation nutzt den Raum als Wirkungsverstärker und flutet Augen und Ohren mit Signalen aus der Meeresforschung, die sonst im Verborgenen bleiben. Der sogenannte ,Stereometrie-Tunnel' verwandelt zum Beispiel die 60 Meter lange und nur 1,50 Meter schmale Galerie des Museums in einen begehbaren Datenstrom aus über 270.000 selbstleuchtenden kleinformatigen Fotos“, sagt Christoph Geiger, Szenograf am DSM.

DATEN LAUSCHEN entstand in Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und dem Kunstverein Bremerhaven.

Weitere Informationen und Kontakt

Pressemitteilung des Deutschen Schifffahrtsmuseums - Leibniz-Institut für Maritime Geschichte (DSM)