Der halbe Röntgenhimmel

Aufnahme des Röntgenhimmels
Bild MPE/J. SANDERS

Ein neuer Katalog enthält Daten zu 900.000 Objekten – die bislang größte Sammlung kosmischer Röntgenquellen.

05.02.2024 · HP-Topnews · Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam · Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften · Forschungsergebnis

Das deutsche eROSITA-Konsortium hat heute die Daten seines Anteils an der ersten Himmelsdurchmusterung durch das abbildende Röntgenteleskop eROSITA an Bord des Spektrum-RG (SRG) Satelliten veröffentlicht. Der erste eROSITA-All-Sky-Survey-Katalog (eRASS1) ist mit rund 900 000 einzelnen Quellen die größte jemals veröffentlichte Sammlung an Röntgenquellen. Zusammen mit den Daten veröffentlichte das Konsortium eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen zu neuen Ergebnissen, die von Studien zur Bewohnbarkeit von Planeten bis zur Entdeckung der größten kosmischen Strukturen reichen.

In den ersten sechs Monaten Beobachtung hat eROSITA bereits mehr Quellen entdeckt, als in der 60-jährigen Geschichte der Röntgenastronomie bisher bekannt waren. Die Daten, die nun der weltweiten Wissenschaftsgemeinschaft zur Verfügung stehen, werden unser Wissen über das Universum bei hohen Energien revolutionieren.

Nur etwa 20 Millionen der entdeckten Röntgenphotonen stammen von einzeln aufgelösten Quellen. Der Großteil der nachgewiesenen Photonen (ca. 32 %) stammt aus dem so genannten „Kosmischen Röntgenhintergrund“, einem gleichmäßigen, diffusen Leuchten im Röntgenbereich, das aus allen Richtungen kommt und größtenteils durch die Kombination von Licht aus weit entfernten, nicht aufgelösten Schwarzen Löchern entsteht. Die zweitgrößte Komponente (etwa 29 %) ist diffuse Emission des heißen Gases in der Milchstraße, einschließlich der berühmten „eROSITA-Blasen“. Die restlichen Photonen werden durch Wechselwirkung mit Sonnenwind und durch die Wechselwirkung der kosmischen Strahlung mit dem Instrument erzeugt.

Der eRASS1-Katalog deckt die Hälfte des Röntgenhimmels ab und ist der Datenanteil des deutschen eROSITA-Konsortiums. Er umfasst mehr als 900.000 Quellen, von etwa 710.000 supermassereichen Schwarzen Löchern in fernen Galaxien (aktive galaktische Kerne) über 180.000 Röntgensterne in unserer eigenen Milchstraße bis hin zu 12.000 Galaxienhaufen und einer kleinen Anzahl anderer exotischer Quellen wie röntgenstrahlende Doppelsterne, Supernovaüberreste, Pulsare und andere Objekte.

„Das sind überwältigende Zahlen für die Röntgenastronomie“, sagt Andrea Merloni, der leitende Wissenschaftler von eROSITA und Erstautor des eROSITA-Katalogs. „Wir haben in sechs Monaten mehr Quellen entdeckt als die großen Flaggschiff-Missionen XMM-Newton und Chandra in fast 25 Jahren.“

Das AIP als eines der Kernmitglieder des deutschen eROSITA-Konsortiums hat die Software zur Verfügung gestellt, die alle neuen Quellen im gerade veröffentlichten Röntgenkatalog aufspürt. Softwarespezialist Georg Lamer sagt: „Ich bin sehr erfreut, dass der eRASS1-Katalog bereits zu 250 Veröffentlichungen innerhalb des eROSITA-Konsortiums geführt hat, und ich freue mich darauf, dass ab heute auch die weltweite wissenschaftliche Gemeinschaft mit diesem umfangreichen Datensatz arbeiten kann“.

Zusammen mit dem Katalog und der Software zum Auffinden neuer Quellen hat das AIP eine riesige Datenbank zur Verfügung gestellt, mit der die maximale Helligkeit eines nicht detektierten Objektes bestimmt werden kann. Die Datenbank und das Werkzeug namens Upper Limit Server werden für jede Wissenschaftlerin und jeden Wissenschaftler in der weltweiten astronomischen Gemeinschaft von unmittelbarem Nutzen sein, um die Röntgenemission eines Objektes von Interesse zu ermitteln.

Zeitgleich mit der Datenfreigabe reichte das deutsche eROSITA-Konsortium fast 50 neue wissenschaftliche Publikationen bei referierten Fachzeitschriften ein, zusätzlich zu den mehr als 200, die das Team bereits vor der Veröffentlichung des Katalogs veröffentlichte. Die neuen wissenschaftlichen Publikationen unter der Leitung des AIP berichten über die Entdeckung eines isolierten Neutronensterns, über seltene ultrakompakte Doppelsterne und über die vollständige Verdampfung einer potenziellen Atmosphäre auf einem erdähnlichen extrasolaren Planeten durch die Röntgenbestrahlung des Wirtssterns.

„Die Qualität und Menge der neuen Daten und die Breite der wissenschaftlichen Themen, die vom eROSITA-Konsortium schon bearbeitet und in Zukunft von unseren Kollegen weltweit adressiert werden können, ist einfach überwältigend“, sagt AIP-Teamleiter Axel Schwope. Er ist als stellvertretender Sprecher an dem von der DFG-geförderten nationalen Forschungsnetzwerk eRO-STEP beteiligt, das sich mit der Erforschung der Endprodukte der Sternentwicklung beschäftigt.

Die erste eRASS-Datenveröffentlichung (DR1) macht nicht nur den Katalog der Quellen öffentlich, sondern auch Bilder des Röntgenhimmels bei verschiedenen Energien und sogar Listen der einzelnen Photonen mit ihren Himmelspositionen, Energien und genauen Ankunftszeiten. Die für die Analyse der eROSITA-Daten nötige Software ist ebenfalls in der Veröffentlichung enthalten. Für viele Arten von Quellen wurden auch zusätzliche Daten aus anderen Wellenbereichen in so genannte „Mehrwert“-Kataloge aufgenommen, die über die reine Röntgeninformation hinausgehen.

Wissenschaftlicher Artikel für den Röntgenkatalog

Merloni et al.: The SRG/eROSITA all-sky survey, First X-ray catalogues and data release of the Western Galactic hemisphere, A&A volume 682, A34.
DOI: https://doi.org/10.1051/0004-6361/202347165, https://www.aanda.org/10.1051/0004-6361/202347165

Weitere Informationen und Kontakt

Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP)