Riskante Nähe

Die personellen Verflechtungen zwischen Europas Banken und den für sie zuständigen Aufsichtsbehörden sind enger als bislang bekannt. Ein Risiko für die Finanzstabilität, sagen Forschende.

26.03.2024 · News · Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle · Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften · Forschungsergebnis

Europas Banken erzielen Überrenditen am Aktienmarkt, wenn ihre Beschäftigten in den Vorstand der Finanzaufsichtsbehörde wechseln. Das kommt häufiger vor als bekannt, zeigt eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Der Befund deutet auf ein Risiko für die Finanzstabilität hin. Die Politik sollte die Aufsicht verbessern.

Die personellen Verflechtungen zwischen Europas Banken und den für sie zuständigen Aufsichtsbehörden sind enger als bislang bekannt. Fast vier von zehn Vorstandsmitgliedern von nationalen Regulatoren haben zuvor in der Finanzindustrie gearbeitet. Das belegt eine neue Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH): Wer gerade noch beaufsichtigt wurde, wird oft selbst Aufseher.

Dieses Phänomen kann einer laxen Regulierung den Weg ebnen. Zumindest scheinen sich Anleger eine nachsichtige Kontrolle der fraglichen Banken zu erhoffen. Denn diese erzielen Überrenditen am Aktienmarkt, wenn ihre ehemaligen Beschäftigten in den Vorstand nationaler Regulierungsbehörden eintreten. Ein weiteres potenzielles Problem kann die IWH-Analyse zumindest für die Zeit vor der Einführung der Europäischen Bankenunion nachweisen: Kreditinstitute, deren Alumni zu Aufsehern ernannt wurden, hielten weniger Eigenkapital und wuchsen schneller.

„Die Nähe zwischen Banken und Aufsicht birgt mögliche Risiken für die Finanzstabilität“, sagt Michael Koetter, Vizepräsident und Leiter der Abteilung Finanzmärkte am IWH. Er hat die Studie zusammen mit Stefano Colonnello, Alex Sclip und Konstantin Wagner verfasst. „Allein der Verdacht, als Aufseher könnten ehemalige Banker ihre früheren Arbeitgeber begünstigen, kann das Vertrauen in die Institutionen belasten“, sagt Koetter. „Die Politik sollte die Bankenaufsicht verbessern, um das Finanz- und Wirtschaftssystem in Deutschland und Europa zeitgemäß zu sichern.“

Finanzmarktforscher Koetter schlägt drei Verbesserungen vor:

(1) Der Auswahlprozess für Führungsposten in der Bankenaufsicht sollte offener, vielfältiger und komplexer gestaltet werden. Erstrebenswert ist ein Auswahlgremium, in dem Politik, Finanzindustrie, Realwirtschaft und Zivilgesellschaft in einem öffentlichen Konsultationsverfahren mit mehreren Stufen die beste Person für einen Posten finden. Bislang entscheidet allein die Politik in geheimer Abstimmung über die Personalien.

(2) Bevor Bankbeschäftigte in den Vorstand der nationalen Finanzaufsicht wechseln, sollten sie eine Wartezeit von mindestens zwei Jahren durchlaufen. Bislang ist ein Wechsel nahtlos möglich.

(3) Ein europäisches Transparenzregister für Banken und ihre Aufseher sollte geschaffen werden. Dank neuer Daten würden Fondsgesellschaften, Versicherungen und weitere Anleger mehr Klarheit gewinnen über mögliche personelle Netzwerke im Finanzwesen. Somit könnten sie Chancen und Risiken ihrer Investitionen besser abwägen. Der Markt würde besser beitragen zur Disziplinierung der Banken.

Für die IWH-Studie haben die Ökonomen Daten zu den Karrierepfaden von 185 europäischen Top-Aufsehern gesammelt und ausgewertet. Diese Personen haben in den Jahren 2002 bis 2019 in insgesamt 13 nationalen Finanzaufsichtsbehörden der zehn größten europäischen Volkswirtschaften gearbeitet. Die Analyse ergab, dass 38,6% der Führungskräfte von Regulierungsbehörden zuvor in Banken tätig waren. Für den Moment, in dem diese Personen ihre neue Stelle antraten, konnten die Forscher Übergewinne der entsprechenden Banken am Aktienmarkt nachweisen. Um statistische Scheineffekte auszuschließen, wie sie beispielsweise durch parallele Politikentscheidungen hätten entstehen können, wurden die Ergebnisse mehreren Tests unterzogen.

Dank der neuen Daten erlaubt die IWH-Studie erstmals für den europäischen Finanzmarkt, die Chancen und Risiken von personellen Verflechtungen zwischen Banken und Aufsicht abzuwägen. Vergleichbare Analysen konzentrierten sich bislang auf den amerikanischen Finanzsektor. Anders als in den USA ist die EU wegen der unvollständigen Europäischen Bankenunion von einer komplexen, kleinteiligen Finanzlandschaft geprägt. Deswegen spielen die nationalen Regulatoren, die in der Studie untersucht wurden, eine wichtige Rolle für die Stabilität des Finanz- und Wirtschaftssystems in Europa.

Studie

Stefano Colonnello, Michael Koetter, Alex Sclip, Konstantin Wagner: The Reverse Revolving Door in the Supervision of European Banks. IWH-Diskussionspapier 25/2023. Halle (Saale) 2023.

Weitere Informationen und Kontakt

Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)