Mediale Erinnerung an die DDR
Fotoalben, Fernsehen, Schulbücher: Seit drei Jahrzehnten vergegenwärtigen Medien den ehemaligen Alltag im Staatssozialismus. Ein Forschungsverbund untersucht, wie diese die Vorstellungen von der DDR geformt haben.
23.06.2022 · News · Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam · Geisteswissenschaften und Bildungsforschung · Forschungsergebnis
Medien begleiteten und prägten den tiefgreifenden Gesellschaftswandel in Ostdeutschland. Das gilt für Journalistinnen und Journalisten ebenso wie für die private Mediennutzung. Seit drei Jahrzehnten vergegenwärtigen diese Medien in Museen und Schulbüchern, historischen Film- und Fernsehclips und Sozialen Medien den Alltag im Staatssozialismus. Bei Konzerten weckt der „Ostrock“ alte Erinnerungen. Ein großer Forschungsverbund untersucht, wie solche Medien Vorstellungen von der DDR geformt haben. Seine Ergebnisse und Erkenntnisse präsentiert der Forschungsverbund „Das mediale Erbe der DDR“ auf einer zweitägigen Tagung am 7. und 8. Juli 2022 in Potsdam.
Dreieinhalb Jahre forschten 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der Freien Universität Berlin (FU) in 15 Einzelprojekten. Sie analysierten die Entstehung, Transformation und Nutzung von Medien mit DDR-Bezug – darunter Ausstellungen, Schulbücher, Filme oder auch private Fotos und Musik. Denn all diese Medien prägen Erinnerungen und das Wissen über den Alltag der Menschen in der DDR, über Freiräume und politische Repression.
„Unser Projekt zeigt, wie stark Alltagsmedien die Erinnerung an die DDR veränderten. Bislang kaum erforschte Medien – wie private Fotoalben, Rockmusik oder Social Media – formten ein maßgebliches Gegengedächtnis zur zeithistorischen Bildungsarbeit. Viele Mediennutzerinnen und -nutzer verbanden diese Medien mit eigenen positiven Erfahrun-gen, die sich von westdeutschen Deutungen unterscheiden“, sagt Professor Dr. Frank Bösch, Direktor des ZZF in Potsdam und einer der beiden stellvertretenden Sprecher des Verbundprojekts.
Untersucht wurden sowohl Massenmedien (Fernsehen, Filme, Internet) als auch private Medien (Fotos, Schmalfilme) sowie verschiedene Nutzungsumgebungen (Schule, Museum, individueller Medienkonsum). Dabei verband das Team an seinen drei Standorten Potsdam, Berlin und München interdisziplinäre Ansätze der Geschichtswissenschaft, der Kommunikationswissenschaft und der Geschichtsdidaktik.
Das Projekt zeigt, was eine Journalistin, die das Medienhandwerk in der DDR gelernt hat, von ihrer westdeutschen Kollegin unterscheidet. An konkreten Biographien wurde ausgemacht, wie etwa DEFA-Regisseure oder ostdeutsche Rock-Bands die Transformationszeit bewältigten. Eine Studie zum ostdeutschen Fernsehen machte deutlich, wie Formate aus der späten DDR mit neuem Inhalt gefüllt wurden, etwa als Ratgebersendungen.
„Wir zeigen in unserem Projekt, wie die DDR ins Museum kam. Dabei geht es um zwei Aspekte: Wir rekonstruieren den oftmals konflikthaften Prozess nach 1989, in dem erste Ausstellungen zur DDR-Geschichte, aber auch zu Alltag und Lebenswelt entstanden sind. Und wir richten den Blick auf die Gegenwart und fragen: Wie eignen sich Menschen heute DDR-Geschichte in Museen an? Auf der Tagung wird beides am Beispiel von Wohnzimmern aus der DDR illustriert“, erläutert Martin Lücke, Universitätsprofessor für Didaktik der Geschichte an der FU Berlin und stellvertretender Sprecher des Verbunds.
Aus der Forschungsarbeit gehen auch mehrere Online-Portale zur DDR-Geschichte hervor. Dazu zählt ein Online-Handbuch, das nach 1990 entstandene Spielfilme über die DDR kompakt und übersichtlich vorstellt und interpretiert. Ebenso förderte das Projekt ein Portal, das Schmalfilme aus der DDR aufbereitet, die die Beteiligten selbst kommentieren. Zudem entsteht ein digitales Archiv für die Oral History: Zahlreiche nach 1990 geführte und ausgewertete Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden erschlossen, konserviert und systematisch archiviert.
Professor Dr. Michael Meyen, Kommunikationswissenschaftler an der LMU und Sprecher des Verbundprojekts, nennt weitere Ergebnisse der Forschungsarbeit: „Bücher und Aufsätze, die Open Memory Box, der Blog Das mediale Erbe der DDR, an dem auch viele Studierende mitgearbeitet haben. Und dann natürlich die Menschen, die sich vier Jahre aneinander und am Thema gerieben haben und sich selbst und die Geschichte jetzt anders sehen als vorher."
Weitere Informationen und Kontakt
Pressemitteilung des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)