Meisterwerke aus Glas

Alte, aufwendig verzierte Trinkgläser in verschiedenen Farben
Foto GNM/JENS BRUCHHAUS

Von Tischbrunnen und Trinkstiefeln: Eine Sonderausstellung zeigt die Vielfalt des Materials Glas.

01.08.2023 · HP-Topnews · Germanisches Nationalmuseum · Geisteswissenschaften und Bildungsforschung · Projekte

20. Juli 2023 – 17. März 2024, Nürnberg

Makellos transparent, farbintensiv leuchtend oder irisierend in allen Regenbogenfarben schillernd – das alles kann Glas sein. Das fragile Material übt seit Jahrtausenden eine ganz besondere Faszination auf Menschen aus. Eine exquisite Sonderausstellung zeigt ab Donnerstag, 20. Juli 2023 mit rund 100 Exponaten die große Vielfalt von Glas und seiner Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Auswahl reicht von der Antike bis in die Gegenwart, alle ausgestellten Objekte stammen aus eigenem Bestand. Neben repräsentativen Trinkgefäßen und Karaffen mit aufwändigem Dekor sind auch schlichte Gebrauchsgegenstände zu sehen, die auf die Allgegenwart und Alltagstauglichkeit des Glases verweisen.

Bereits im Eingangsbereich wird die große zeitliche Spanne deutlich, wenn sich antike Salbgefäße aus dem 1. bis 3. Jahrhundert und Glasgefäße aus dem 21. Jahrhundert gegenüberstehen. Alle dien(t)en demselben Zweck, dem Verpacken und Transport von Produkten. Die antiken Behältnisse enthielten einst Öle und Tinkturen, die modernen Gefäße die zur Glasherstellung benötigten Zutaten: Glas besteht zu mehr als der Hälfte aus Quarzsand, dem Zusätze wie Soda, Pottasche, Bleimennige für Brillanz und Härte sowie Borax und Natronsalpeter beigegeben werden. Erhitzt kann es in nahezu jede Form gebracht werden, die es ausgehärtet beibehält.

Trink- und Tafelglas als Repräsentationsobjekte

Bei den rund 2000 Jahre alten Salbgefäßen handelte es sich in der Regel um Einwegbehältnisse. In großer Zahl wurden sie einst im antiken Alltag verwendet, als Wegwerfprodukte haben sie sich allerdings selten unversehrt erhalten. Anders erging es kostbaren Trink- und Tafelgläsern, mit denen Reichtum und Wohlstand zur Schau gestellt und Gäste beeindruckt werden sollten.

Eine Vitrine versammelt sogenannte Scherzgefäße aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die alle über einen überraschenden Effekt, einen „Scherz“ verfügen. Diese ungewöhnlichen Gläser und fantasievolle Trinkspiele trugen auf Festen und Gesellschaften zur Belustigung der (trinkfesten) Gäste bei. Ein Trinkglas in Form eines Stiefels hat einen recht weiten Glasschaft, der das Leeren ohne Kleckern nahezu unmöglich macht, eine Gluckerflasche aus vier übereinandergesetzten Hohlkugeln erzeugt beim Ausgießen einen kehlig-gluckernden Klang. Zurückhaltender ist der Effekt eines Pokals mit einem „Hansel im Keller“: Am Boden befindet sich ein Schwimmkörper mit einer kleinen, goldenen Figur. Wird der Pokal gefüllt, steigt die Figur als Überraschung langsam auf. Solche Gefäße wurden offenbar verwendet, um eine Geburt anzukündigen und auf das Wohl von Mutter und Kind anzustoßen.

Als „Trionfi da Tavola“, Triumphe der Tafel, wurden Tischbrunnen in Italien bezeichnet. Selten haben sich gläserne Exemplare dieser fragilen Konstruktionen bewahrt. In der Ausstellung ist das vermutlich am besten erhaltene dreistöckige Beispiel aus transparentem und grünem Glas aus dem 17. Jahr-hundert zu sehen. Wird etwa ¼ Liter einer Flüssigkeit in die oberste Schale gegossen, fließt sie in Fontänen durch seitliche Röhrchen in die jeweils darunterliegende, bis sie in der untersten Ebene zum Stehen kommt. Durch ein an der unteren Schale angesetztes, elegant geschwungenes Glasrohr konnte die Flüssigkeit angesaugt und getrunken werden. Ein Film auf einem nebenstehenden Monitor zeigt den Brunnen in Funktion.

Migration von Glas

Zwischen farbintensiv leuchtenden Jugendstilgläsern veranschaulicht eine Vitrine die Schritte der Herstellung eines Kelchglases vom Glasrohstoff bis zum geblasenen Endprodukt: Zunächst wird ein Propfen transparenter Glasmasse mit Farbe überzogen, erhitzt und in eine Art Kugelform geblasen. Danach wird die Kugel aufgeschnitten und eine zweite Glaskugel eingesetzt, wieder erhitzt und weiter aufgeblasen. Nach dem Ansetzen eines Stiels, kann der obere Teil der Doppelkugel, der lediglich zum Halten dient, abgetrennt werden. Abschließend veredelt ein Glasschleifer das Trinkgefäß, indem er die oberste Farbschicht abschleift und dadurch Kontraste herstellt.

Kenntnisse über Herstellung, Dekor und Formen von Glas verdanken sich Reisebewegungen und Migration. Ob Rohstoffe, Hersteller, Veredler oder die Produkte selbst, alles rund ums Glas war stets in Bewegung. Glasbläser und –schneider waren über Jahrhunderte europaweit unterwegs, um Herstellungsverfahren und neue Veredelungstechniken kennenzulernen und mit in ihre Heimat zu bringen. Das Wissen war kostbar. Glasbläsern aus Murano beispielsweise, einer Insel vor Venedig, war im Spätmittelalter das Reisen oder gar Wegziehen verboten. Muranoglas galt als das hochwertigste seiner Zeit, diese Exklusivität sollte gewahrt bleiben.

Mussten Erzeugnisse aus Glas transportiert werden, benötigten sie, die oft selbst als Behältnisse dienten, ebensolche. Kisten und Kästchen mit passgenauen, mit Stoff ausgeschlagenen Vertiefungen zeugen von dem Aufwand, der für Glasobjekte auf Reisen betrieben wurde.

Überraschendes und Kuriosa: Die Vielfalt von Glas

Glas findet in deutlich mehr Zusammenhängen Verwendung als nur bei Behältnissen und Trinkgefäßen. In der Ausstellung versammelt eine Vitrine Glasschmuck von der Antike bis heute – von farbig gefassten Glasperlen über Mikromosaik-Medaillons bestehend aus weniger als einem Millimeter kleinen Glassteinen bis zu glitzernd geschliffenen Strasssteinen als Diamantersatz. Geschliffenes Glas in Brillen und als Linse in Mikroskopen und Fernrohren ermöglichen einen schärferen und detaillierteren Blick auf Mikro- und Makrokosmos.

In der Medizin helfen Reagenz- und Harngläser, in der Anatomie Glasaugen für den Nutz- und Lehrgebrauch. Für den Bereich der Musik steht eine Glasflöte, für Kinderspielzeug ein „Gestiefelter Kater“ mit Glasperlenbesatz auf der Jacke. Auch die Zeit existiert im Glas – in Sanduhren oder einer Öllampenuhr aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, die Uhrzeit und Licht zugleich spendet: Ein Glashohlkörper wird mit Öl gefüllt, dessen Pegel nach Entzünden langsam sinkt. Außen am Glas befindet sich ein senkrecht angebrachtes Zinnband mit Skalierung, das die jeweilige Uhrzeit verrät. Die Flamme liefert das zum Ablesen benötigte Licht. Die kleine Öllampenuhr in der Ausstellung enthielt Brennstoff für ungefähr eine Nacht.

Eine Welt ohne Glas? Für uns heute nur schwer vorstellbar. Die Ausstellung endet mit der Aufforderung an Besucher*innen, auf kleinen Karten zu notieren, in welchen Redewendungen, Märchen und Liedtexten ihnen Glas begegnet. Schneewittchens Sarg, Cinderellas Schuh oder der Blondie-Song „Heart of Glass“ sind weitere Beispiele, die von der großen Vielfalt und Allgegenwart des Glases zeugen.

Weitere Informationen und Kontakt

Presseseite des Germanischen Nationalmuseums (GNM)