„Nicht vollständig beherrschbar“

Foto MARKUS DISTELRATH/PIXABAY

Auch zehn Jahre nach Fukushima bleiben Atomanlagen störanfällig und unzuverlässig. Dies bilanziert eine Studie, die Zwischenfälle in europäischen Kernkraftwerken unter die Lupe nimmt.

01.03.2021 · Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften · DIW Berlin - Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung · News · Forschungsergebnis

Am 11. März jährt sich die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima zum zehnten Mal. Sie hat eindringlich vor Augen geführt, welche Gefahren von Kernkraft ausgehen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zeigt nun, dass es weltweit bis heute regelmäßig zu Zwischenfällen in Atomanlagen kommt, auch wenn sie meistens weniger folgenschwer sind. Auch im normalen Betrieb müssen Kraftwerke immer wieder vom Netz genommen werden, was zu erheblichen Ausfallzeiten führt. Wegen der Unterbrechungen, die in erster Linie nicht durch Unfälle, sondern etwa durch notwendige Brennstoffwechsel, Wartungen von Anlagen oder gestiegene Sicherheitsanforderungen verursacht werden, kann rund ein Drittel der Kapazität aller Kernkraftwerke nicht zur Stromerzeugung genutzt werden. „Kernkraft ist nicht vollständig beherrschbar und auch nicht konstant verfügbar“, summiert Studienautor Ben Wealer. „Wegen langer, geplanter und ungeplanter Ausfallzeiten sind Backup-Kapazitäten notwendig. Damit ist Kernkraft als Energielieferant auch aus ökonomischer Sicht nicht zukunftsträchtig.“

Hohe Ausfallzeiten von Atommeilern in Frankreich

Dass die Risiken der Kernkraft oft unterschätzt werden, liegt den WissenschaftlerInnen zufolge auch daran, dass es keine einheitliche Bewertungsskala für Kernenergie-Unfälle gibt. Ursache dafür ist eine inkonsistente technische und sozioökonomische Bewertung der Zwischenfälle. Hier sollten stattdessen empirische Bewertungsmodelle zum Einsatz kommen.

Die DIW-Studie nimmt exemplarisch die Kernkraftwerke in Frankreich und Deutschland unter die Lupe. In Frankreich, dem nach den USA weltweit zweitgrößten Produzenten von Strom aus Kernenergie, ist die Ausfallrate von Atommeilern recht hoch: Seit den 1970er Jahren wurden mehr als 30 Prozent der Kapazitäten nicht genutzt. Auch in Deutschland werden immer wieder erhebliche Ausfallzeiten registriert. Die Kapazitätsauslastung liegt aber bei mehr als 70 Prozent und damit über der von Frankreich und dem weltweiten Durchschnitt von 66 Prozent. Gerade in Frankreich konnte im Detail gezeigt werden, dass selbst geplante Ausfallzeiten ungewollte Schwankungen in der Stromerzeugung verursachen und Kernkraft somit die Grundlast nicht decken kann.

Energiemodelle vernachlässigen Sicherheitsrisiken

Das Unglück von Fukushima hat den Bedeutungsrückgang von Kernkraft für die internationale Energiewirtschaft weiter beschleunigt. Derzeit liegt ihr Anteil an der globalen Stromerzeugung bei lediglich rund zehn Prozent – Tendenz weiter fallend. Entgegen den empirischen Beobachtungen rückläufiger Investitionen messen Energiesystemmodelle der Kernkraft vor allem wegen geringerer CO2-Emissionen aber zum Teil eine wachsende Bedeutung in der Zukunft bei. Die Modelle vernachlässigen der DIW-Studie zufolge die hohen Sicherheitsrisiken und die fluktuierende Fahrweise der Kernkraftwerke.

„Diese Aspekte sollten in der energiewirtschaftlichen Analyse aber konsequent berücksichtigt werden“, fordert Energieökonomin und Studienautorin Claudia Kemfert. „Viele Energie- und Klimamodelle lassen außer Acht, dass die Risiken der Kernkraft seit jeher von der Gesellschaft getragen werden, da sie bis heute in keinem Land der Welt abgesehen von eher symbolischen Haftpflichtversicherungen der Kraftwerksbetreiber versicherbar sind".

Publikation

Ben Wealer, Christian von Hirschhausen, Claudia Kemfert, Fabian Präger, Björn Steigerwald (2021): Zehn Jahre nach Fukushima – Kernkraft bleibt gefährlich und unzuverlässig, in: DIW Wochenbericht 8 / 2021, S. 107-115.

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