Out of Africa – über das Wasser
Wie gelang es unseren frühen Vorfahren, auf ihrer Wanderung Gewässer auch ohne moderne Seefahrtstechnologie zu überwinden? Ein Simulationsmodell gibt erstmals Aufschluss darüber.
01.07.2021 · Lebenswissenschaften · Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung · News · Forschungsergebnis
Wissenschaftler*innen des interdisziplinären Projekts der Heidelberger Akademie der Wissenschaften „The Role of Culture in Early Expansions of Humans” (ROCEEH) am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt haben mit einem spanisch-deutschen Team erstmalig die Ausbreitung unserer frühen Vorfahren unter Einbezug von Wasserwegen modelliert. Das im Fachjournal „PLOS ONE“ vorgestellte Modell erlaubt die Konfiguration von Verhaltensszenarien, die verschiedene biologische und kulturelle Stufen von Wasserüberquerung durch die Hominiden veranschaulichen. Entwickelt wurde es im „Agent-based modelling“-Labor von ROCEEH in Frankfurt.
Laut der „Out-of-Africa“-Theorie tauchte die Gattung Homo vor etwa 2,8 Millionen Jahren erstmalig in Afrika auf und breitete sich dann von dort über die ganze Welt aus. „Wie diese Ausbreitung im Detail stattgefunden hat, ist aber häufig nur schwer nachvollziehbar. In der Regel gibt es nur sehr großräumige Modelle für die Wanderrouten unserer frühen Vorfahren“, erklärt Ericson Hölzchen, Erstautor der Studie von ROCEEH am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Feststeht, dass die Hominiden Gewässer unterschiedlicher Größe auf ihrer Wanderung überwinden mussten – ob und wie sie dazu, ohne den Einsatz von moderner Seefahrtstechnologie, in der Lage waren, konnte bislang aber nicht abschließend geklärt werden. Dies ist aber für die Diskussion möglicher Migrationsrouten unerlässlich.“
Hölzchen und ein spanisch-deutsches Team haben nun diese Lücke geschlossen: Ein von ihnen – im „Agent-based modelling“-Labor von ROCEEH unter Leitung von Dr. Christine Hertler in Frankfurt – neu entwickeltes Modell ermöglicht es erstmalig, auf einer kleinen Skala die Wasserüberquerung von Hominiden zu simulieren. Tausend Individuen schickten die Forscher*innen in ihrer Simulation auf die „Reise“ und statteten sie hierfür mit verschiedenen, anpassbaren Fähigkeiten sowie 45.000 Energieeinheiten aus. „Unsere Modellhominiden haben unterschiedliche Möglichkeiten Wasserbarrieren zu überwinden: zielgerichtet schwimmend, paddelnd, sich treiben lassend oder auf einem Floß. Zudem lassen sich auch weitere Parameter – wie beispielsweise die Breite der Wasserbarriere, die Wassertemperatur oder die Strömung – in der Simulation einstellen“, fügt Hölzchen hinzu.
Mit den verschiedenen Faktoren lässt sich dann eine „Crossing-Success-Rate“ (CSR), also die Wahrscheinlichkeit, dass die Überquerung der Gewässer gelingt bzw. scheitert, ableiten. „Durch den Einsatz der CSR sind wir in der Lage, anhand von kleinräumigen Bewegungsentscheidungen unterschiedliche Verhaltensszenarien und deren Auswirkungen auf den Überquerungserfolg zu vergleichen“, ergänzt der Frankfurter Bioinformatiker.
Die Forschenden zeigen, dass es den frühen Vertreter*innen der Gattung Homo in zwei der modellierten Szenarien – durch zielgerichtetes Schwimmen oder unter Zuhilfenahme eines Floßes – mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit gelang, Meeresengen von bis zu 15 Kilometern Breite, wie beispielsweise die Straße von Gibraltar oder auch breite Flüsse, wie den Ganges, zu überwinden.
„Die Ausbreitung über Wasserbarrieren hinweg ist demnach nicht unwahrscheinlich und sollte auch bei großräumigeren Modellen berücksichtigt werden“, resümiert Hölzchen und gibt einen Ausblick: „Unser Modell kann zukünftig als Vorlage für Expansionsszenarien unter Einbezug weiterer natürliche Barrieren, wie Gebirge oder Wüsten, dienen. So werden wir immer besser verstehen können, wie sich unsere Vorfahren ausgehend von der ‚Wiege der Menschheit‘ verbreitet haben!“
Publikation
Hölzchen E, Hertler C, Mateos A, Rodríguez J, Berndt JO, et al. (2021) Discovering the opposite shore: How did hominins cross sea straits?. PLOS ONE 16(6): e0252885. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0252885