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Hunger ist kein Naturereignis, sondern hat eine Geschichte. Eine neue Publikation stellt zeithistorische Konzepte, Praktiken und Lernprozesse der Versorgung und Hungerhilfe ins Zentrum.

10.02.2022 · News · Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam · Geisteswissenschaften und Bildungsforschung · Forschungsergebnis

Hunger gehört nach wie vor zu den größten Menschheitsproblemen. In Afghanistan, Äthiopien und anderswo kann man dies ganz akut beobachten. Aber auch in vielen reicheren Ländern des Globalen Nordens sind Hunger, Mangel- und Fehlernährung zumindest für Teile der Gesellschaft alltägliche Bedrohungen, eng verknüpft mit Fragen der sozialen Ungleichheit, der Gesundheitsversorgung, der Demographie und der Migration, der Umweltsituation und des Klimawandels. Um diese Gemengelage besser einordnen und auch politisch (vielleicht) klüger handeln zu können, bedarf es nicht zuletzt historischer Erklärungen und Analysen. Hunger ist kein Naturereignis, sondern hat eine Geschichte. Und gerade für das 20./21. Jahrhundert ist inzwischen auch die Hungerhilfe ein Thema, das eine Historisierung erfordert - zumal sich die unterschiedlichen Versuche zur Bekämpfung des Hungers nicht eindeutig als "Erfolg" oder "Scheitern" bilanzieren lassen.

Das Themenheft stellt zeithistorische Konzepte, Praktiken und Lernprozesse der Versorgung, Hungerhilfe und -prävention ins Zentrum. Ein besonderes Interesse gilt dabei den sich wandelnden Wissensordnungen über Ernährung und Hungerprävention. Die Untersuchung Internationaler Organisationen, transnational vernetzter NGOs, nationaler Regierungen und lokaler Akteure eröffnet einen differenzierten Blick auf jene Orte und politischen Bühnen, auf denen Wissen akkumuliert, Konzepte ausgehandelt, Praktiken erprobt und Lernprozesse reflektiert wurden, um neue Maßnahmen internationaler Versorgung, Hungerhilfe und -prävention im 20. Jahrhundert zu entwickeln. Die Beiträge adressieren drei große geschichtswissenschaftliche Forschungsfelder und verschränken zentrale Themen der Zeitgeschichte miteinander: die Geschichte des Humanitarismus, die Geschichte Internationaler Organisationen und zivilgesellschaftlicher Akteure sowie die Geschichte von Ernährung und Versorgung im Zeitalter der Ideologien. Das Heft diskutiert somit den Einfluss staatlicher und nichtstaatlicher Akteure auf globale Politik und neue Formen globaler Governance, auf Nahrungsmittelmärkte und internationale Standardisierungsprozesse sowie auf dominierende Modelle im Gesundheits-, Entwicklungs- und Ernährungsbereich.

Die zeithistorischen Fallstudien widmen sich unter anderem der sowjetischen Lebensmittelhilfe für Afrika in der Ära des Kalten Krieges, dem Kampf der Weltgesundheitsorganisation gegen Mangelernährung und Kindersterblichkeit, der Rolle von Ernährungsforschung und Lebensmittelindustrie auf der Suche nach neuartigen "Wonder Foods", dem Einfluß von Fotografien auf die Hungerhilfe für Bengalen im Jahr 1943 sowie Amartya Sens ökonomischem Erklärungsmodell für Hungersnöte ("Poverty and Famines", 1981). Ein Interview mit dem britischen Forscher Tom Scott-Smith reflektiert das Verhältnis zwischen praktischer humanitärer Hilfe, ethnographischer und historischer Forschung.

Zusätzlich zum thematisch gebundenen Teil enthält dieses Heft außerdem vier Beiträge zu anderen Themen. Drei davon widmen sich mit unterschiedlichen Zugängen der Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte der NS-Herrschaft, speziell im Hinblick auf Quellen der Judenverfolgung und des Antisemitismus.

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