Ultraschall aktiviert Wirkstoffe

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Eine neue Methode erlaubt es, in Molekülen eingeschlossene Wirkstoffe gezielt und nach Bedarf anzuschalten. Nebenwirkungen etwa von Krebsmedikamenten könnten so vermieden werden.

01.02.2021 · Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften · DWI - Leibniz-Institut für Interaktive Materialien · News · Forschungsergebnis

Forscherinnen und Forschern des DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien ist es gelungen, ein ganz neues System zur Aktivierung von Wirkstoffen zu entwickeln. Das Besondere: Ihre Methode beruht auf der Nutzung von Ultraschallwellen. Die Wirkstoffe sind in sogenannten Träger-Molekülen eingeschlossen. Durch die Ultraschallwellen und die damit einhergehenden mechanischen Kräfte lassen sich chemische Bindungen dieser Träger-Moleküle aufbrechen, sodass die Wirkstoffe „angeschaltet“ werden. „Unsere Methode haben wir unter anderem an herkömmlichen Antibiotika und einem Krebstherapeutikum erprobt. Durch die Freisetzung und Aktivierung der jeweiligen Wirkstoffe erschließen sich uns ganz neue Möglichkeiten der kontrollierbaren Arzneimitteltherapie“, so Prof. Dr. Andreas Herrmann, stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für Makromolekulare Materialien und Systeme an der RWTH Aachen University. Er ist leitender Wissenschaftler des Vorhabens. Das Forscherteam stellt dabei drei neuartige Ansätze vor, die sich in der Art und dem Aufbau der Trägerelemente sowie deren Bindungsstärken und ‑eigenschaften unterscheiden: Einen chemischen, einen bio-anorganischen und einen biochemischen Ansatz. So lassen sich kovalente und nicht-kovalente Bindungen der Träger-Moleküle gezielt und nach Bedarf aufbrechen sowie die Freisetzung der Wirkstoffe zeitlich kontrollieren und dosieren.

Zu viel und nicht direkt am richtigen Ort: Schwächen bisheriger medikamentöser Therapien

Die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Hilfe von Arzneimitteln ist eine der wichtigsten und häufig genutzten medizinischen Therapien, die uns derzeit zur Verfügung stehen. Die systemische Anwendung von Medikamenten ist jedoch ein Kompromiss zwischen erwünschter Behandlung und Nebenwirkungen. Die damit verbundenen Nachteile müssen derzeit aufgrund des vorherrschenden Mangels an Medikamentenselektivität, also der Fähigkeit der Wirkstoffe an einem spezifischen Ort im Körper nur die gewünschte Wirkung zu erbringen, in Kauf genommen werden. Hiervon betroffen sind, neben Antibiotika, insbesondere Medikamente gegen Krebs. Deren größtenteils aggressive Wirkung ist zwar für das Tumorgewebe bestimmt, aber aufgrund der nicht vollständig kontrollierbaren Selektivität und örtlichen Dosierung können die Wirkstoffe auch gesunde Zellen und Gewebe schädigen. Die Ausmaße dieser Schäden können bis hin zur Abtötung von Zellen und Geweben führen.

Neben teils starken Nebenwirkungen führt die systemische Nutzung bzw. der übermäßige Einsatz von Antibiotika unweigerlich zur Entstehung von antimikrobiellen Resistenzen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen davor, dass durch multiresistente Erreger bereits bis zum Jahr 2050 die Leben von Millionen von Menschen in Gefahr geraten könnten. Deshalb ist es umso entscheidender, dass die Art der Behandlung so präzise und kontrollierbar wie möglich gestaltet wird, um eine Verabreichung der Wirkstoffe „am Ort des Geschehens“ im Körper zu erzielen.

Sonopharmakologie – ein Baukastenprinzip für verschiedene Fragestellungen

Mit dem hier vorgestellten beispiellosen Ansatz hat das Team eine Blaupause für die Pharmakotherapie konzipiert: Systemische Nebenwirkungen könnten sich vermeiden lassen. Darüber hinaus lassen sich Therapien auf medizinische Anforderungen und klinisch etablierte Techniken der Arzneimittelfreisetzung mit räumlich-zeitlicher Auflösung abstimmen. Daher könnten diese Ansätze den Ausgangspunkt für ein neues Forschungsgebiet der sogenannten „Sonopharmakologie“ bilden. Dies wäre eine Analogie zum Feld der Photopharmakologie, das vor kurzem etabliert wurde. Hierbei handelt es sich um einen Weg der lichtvermittelten Wirkstofffreisetzung. Neben Optimierungsarbeiten und Anpassungen der Systeme, haben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bereits begonnen, weitere Felder zu erschließen: „Wir arbeiten auch daran, auf Basis unserer bisherigen Untersuchungen ein Baukastenprinzip zu entwickeln. Unser Ziel ist es, dass es jedem möglich sein soll, die Träger-Moleküle für weitere Arzneimittel, wie beispielsweise zur Blutgerinnung, selbst zu designen“ so Dr. Robert Göstl, welcher die wissenschaftliche Arbeit maßgeblich mitgestaltet hat. Er ist Leiter einer unabhängigen Forschungsgruppe am DWI und Habilitand an der RWTH Aachen University. Möglich wurde das Vorhaben dadurch, dass Andreas Herrmann und Robert Göstl ihre jeweiligen Expertisen kombiniert haben: Andreas Herrmann untersucht unter anderem alternative Freisetzungssysteme von Wirkstoffen, Robert Göstl forscht im Feld der Mechanochemie. Ihre Arbeit wird durch den Europäischen Forschungsrat (European Research CouncilAdvanced Grant SUPRABIOTICS, Nr. 694610) sowie die VolkswagenStiftung (Freigeist-Fellowship, Nr. 92888) gefördert.

Originalpublikation

Huo, S., Zhao, P., Shi, Z., Zou, M., Yiang, X., Warszawik, E., Loznik, M., Göstl, R., and Herrmann, A. Mechanochemical bond scission for the activation of drugs. Nat. Chem. (2021). https://doi.org/10.1038/s41557-020-00624-8

Weitere Informationen und Kontakt

www.dwi.rwth-aachen.de