Weiterhin einsam und weniger zufrieden

Frau mit traurigem Gesichtsausdruck, die sich auf ein Sofa kauert, Gesicht in die Hand gestützt
Foto ANNIE SPRATT/UNSPLASH

Die Corona-Pandemie wirkte sich im zweiten Lockdown stärker auf das Wohlbefinden der Menschen aus. Forschende empfehlen, Konzepte zu erarbeiten, um Betroffenen ausreichend Hilfsangebote zu ermöglichen.

05.07.2021 · Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften · DIW Berlin - Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung · News · Forschungsergebnis

Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie und des ersten Lockdowns wurde vermutet, dass die Krise mit einer starken psychischen Belastung der Bevölkerung einhergehen würde. Im zweiten, deutlich längeren, Lockdown wurden diese Befürchtungen noch größer. Denn viele sahen dadurch die psychische Gesundheit der in Deutschland lebenden Menschen akut bedroht. Wie aktuelle Ergebnisse der SOEP-CoV-Studie zeigen, waren diese Sorgen zumindest teilweise begründet. So blieb während des zweiten Lockdowns die Einsamkeit unverändert hoch und die Lebenszufriedenheit sank. Sollte die ökonomische Unsicherheit steigen oder der Alltag der Menschen anhaltend durch die Krise beeinträchtigt bleiben – etwa durch einen weiteren Lockdown – ist anzunehmen, dass sich auch die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden verschlechtern. Daher sollten schon jetzt Konzepte erarbeitet werden, damit Betroffene möglichst einfach und ausreichend Zugang zu Psychotherapien und anderen Hilfsangeboten erhalten. Dabei wäre es ratsam, insbesondere Frauen, jüngere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen, die während des zweiten Lockdowns besonders stark seelisch gelitten haben. 

Am 2. November 2020 begann der Lockdown „light“ in Deutschland, der nach mehreren Verschärfungen im Mai 2021 endete. Aus einer zweiten Erhebung der SOEP-CoV-Studie auf Basis der Langzeitbefragung Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) im Januar und Februar 2021 lassen sich nun erste Ergebnisse über die Entwicklung der selbstberichteten psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens der in Deutschland lebenden Menschen zu dieser Zeit ablesen. Dabei wird der sehr lange zweite Lockdown mit dem ersten Lockdown im Jahr 2020info, aber auch mit den Jahren vor der Corona-Pandemie verglichen.info

Einsamkeit unverändert hoch, Lebenszufriedenheit sinkt

Einsamkeit beschreibt eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen gewünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen. Wird die Einsamkeit chronisch, geht sie mit schwerwiegenden Folgen für die psychische und physische Gesundheit einher. Bereits im ersten Lockdown war die Einsamkeit der in Deutschland lebenden Menschen auf auffällig hohem Niveau (Durchschnittswert im ersten Lockdown = 5,1, Durchschnittswert in 2017 = 3,0 im Wertebereich von 0 bis 12, niedrige Werte geben niedrige Einsamkeitsgefühle an). Im zweiten Lockdown zeigte sich im Vergleich dazu kaum eine Veränderung: Die Einsamkeit blieb auf unverändert hohem Niveau, stieg aber trotz der länger andauernden Kontaktbeschränkungen auch nicht weiter an (Durchschnittswert = 5,2). Allerdings ist dieser Durchschnittswert insbesondere im Vergleich zu den Vorjahren besorgniserregend hoch (vgl. Abbildung 1a). Aus diesem Grund gilt es in den folgenden Monaten genau zu beobachten, ob die Einsamkeit der in Deutschland lebenden Menschen mit den Lockerungen der Kontaktbeschränkungen wieder abnimmt, oder ob sie möglicherweise chronisch wird.

Die allgemeine Lebenszufriedenheit hat sich zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown verringert, wie schon eine frühere Auswertung der SOEP-CoV-Studieinfo gezeigt hat. Während die Bevölkerung im ersten Lockdown noch äußerst resilient war (die Lebenszufriedenheit blieb im Vergleich zu den Vorjahren unverändert: Durchschnittswert im ersten Lockdown = 7,4, Durchschnittswert in 2019 = 7,4 auf einer Skala von 0 bis 10), ging die Lebenszufriedenheit im zweiten Lockdown spürbar zurück. (Durchschnittswert = 7,2). Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in Bezug auf das emotionale Wohlbefinden erkennen. So lag der Durchschnittswert des emotionalen Wohlbefindens im ersten Lockdown bei 14,6, während er 2019 noch bei 14,7 gelegen hatte (Wertebereich von 4 bis 20). Im zweiten Lockdown sank der Wert auf 14,5. Allerdings war der Rückgang des emotionalen Wohlbefindens im Januar/Februar 2021 (noch) nicht signifikant.

Leichte Entspannung bei der Depressions- und Angstsymptomatik

Obwohl die Einsamkeit unverändert hoch war und auch die Lebenszufriedenheit der in Deutschland lebenden Menschen im zweiten Lockdown sank, lässt sich auch eine positive Entwicklung erkennen. Im Vergleich zum ersten Lockdown litten die Menschen während des zweiten Lockdowns im Durchschnitt etwas seltener unter Angst- und Depressionssymptomeninfo wie etwa einem geringeren Interesse an Tätigkeiten, Nervosität, Ängstlichkeit oder Anspannung. Das heißt, diese Symptomatik lag während des zweiten Lockdowns auf einem ähnlichen Niveau wie 2016 (Durchschnittswert im 2. Lockdown = 2,2, Durchschnittswert in 2016 = 2,3, Wertebereich 0 bis 12). Dieser Rückgang ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Menschen nach insgesamt fast einem Jahr Pandemie die Krise nicht mehr als so bedrohlich wahrnehmen wie noch zu Beginn und sich daher weniger Sorgen machen. Gleichzeitig ist jedoch bekannt, dass sich ökonomische Unsicherheit auf die Symptomatik auswirkt. Es ist daher anzunehmen, dass diese noch einmal ansteigen könnte, sollten durch die Krise zukünftig Arbeitsplätze verloren gehen und die ökonomische Unsicherheit ansteigen.

Vor allem Frauen und junge Menschen leiden seelisch während der Pandemie

Wie die Auswertung der SOEP-CoV-Studie zeigt, war vor allem die psychische Gesundheit von Frauen, jüngeren Menschen und Menschen mit direktem Migrationshintergrundinfo während der Corona-Pandemie beeinträchtigt. Zum Beispiel berichteten Frauen im zweiten Lockdown eine höhere Einsamkeit, eine geringere Lebenszufriedenheit und mehr Angst- und Depressionssymptome als Männer. Bemerkenswert ist daran insbesondere, dass in den vergangenen Jahren Frauen tendenziell immer eher etwas zufriedener mit ihrem Leben waren als Männer. Auffällig ist auch, dass sich der Unterschied in der Angst- und Depressionssymptomatik zwischen Frauen und Männern im zweiten Lockdown im Vergleich zum ersten Lockdown noch weiter vergrößert hatinfo. Eine mögliche Erklärung für dieses Ergebnis ist, dass Frauen sowohl wirtschaftlich als auch durch die zusätzlichen Anforderungen im Rahmen von Kinderbetreuung und Homeschooling mehr belastet waren als Männer.

Darüber hinaus zeigte sich, dass jüngere stärker unter der Krise leiden als ältere Menschen: Sie fühlten sich während des ersten und des zweiten Lockdowns wesentlich einsamer und berichteten im Mittel deutlich mehr Angst- und Depressionssymptome.

Auch Menschen mit direktem Migrationshintergrund reagierten mit mehr Angst- und Depressionssymptomen auf die Krise als Menschen ohne Migrationshintergrundinfo. So lag ihre Angst- und Depressionssymptomatik im zweiten Lockdown im Durchschnitt bei 2,6 während sie bei Menschen ohne Migrationshintergrund lediglich bei 2,1 lag.

Fazit: Die nächsten Monate werden zeigen, wie sich die Covid-19 Pandemie langfristig auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden auswirkt

Während des zweiten Lockdowns zeigte sich, dass die in Deutschland lebenden Menschen nach wie vor sehr einsam waren und auch die Lebenszufriedenheit im Vergleich zum ersten Lockdown gesunken ist. Gleichzeitig litten sie etwas seltener unter Angst- und Depressionssymptome als noch im ersten Lockdown. Die nächsten Monate werden nun zeigen, wie sich die Krise langfristig auf die Psyche der Bevölkerung auswirkt. Sollte die ökonomische Unsicherheit nochmals steigen oder der Alltag der Menschen anhaltend durch die Krise beeinträchtigt sein – etwa durch einen weiteren Lockdown – ist anzunehmen, dass sich auch die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden nochmals verschlechtern. Eine engmaschige Beobachtung der Situation scheint daher notwendig. Präventiv wäre es darüber hinaus schon jetzt sinnvoll, Konzepte zu erarbeiten, um sicherzustellen, dass die in Deutschland lebenden Menschen in ausreichendem Umfang und möglichst einfach Zugang zu Psychotherapien erhalten. So wäre es beispielsweise denkbar, approbierten Psychotherapeuten, die derzeit noch nicht über eine Zulassung für die gesetzlichen Krankenversicherungen verfügen, zeitweise die Möglichkeit zu geben, mit den gesetzlichen Krankenversicherungen abzurechnen. Auf diese Weise könnte kurzfristig und flexibel Therapieangebote für Betroffene geschaffen werden. Auch ein Ausbau niedrigschwelliger Hilfsangebote (online oder telefonische Hilfsangebote) erscheint in Anbetracht möglicher weiterer Lockdowns sinnvoll. Insbesondere Frauen, jüngere Menschen und Menschen mit direktem Migrationshintergrund, die während des zweiten Lockdowns besonders stark seelisch gelitten haben, sollten dabei gezielt angesprochen werden. In Anbetracht der anhaltend hohen Einsamkeit in der Bevölkerung wird darüber hinaus zu empfohlen, das Thema noch stärker in den politischen Fokus zu rücken. Eine Möglichkeit wäre es beispielsweise auf Bundesebene Einsamkeitsbeauftrage einzusetzen, die das Thema ganzheitlich betreuen und koordinieren. Vergleichbare erfolgreiche Beispiele finden sich bereits im europäischen Ausland wie den Niederlanden oder Großbritannien.

Weitere Informationen und Kontakt

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