Mauerbau: Ulbricht war die treibende Kraft

Walter Ulbricht setzte den Bau der Berliner Mauer gegen den ursprünglichen Willen des sowjetischen Staatschefs Nikita Chruschtschow durch. Der Mauerbau vor 50 Jahren war somit nicht von der Sowjetunion verordnet, wie SED-Funktionäre nach der Wende behauptet hatten. Das schreibt der Potsdamer Historiker Martin Sabrow in der neuen Ausgabe des Leibniz-Journals zum Schwerpunktthema „Grenzen“.

08.08.2011 · Pressemeldung · Leibniz-Gemeinschaft

Berlin/Potsdam ‑ Der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 geht im Wesentlichen auf das Drängen des DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht zurück. Die Abriegelung West-Berlins war somit kein von der Sowjet-Regierung angeordneter Akt, für den die Funktionäre in der DDR keine Verantwortung trugen, wie sie nach der Wiedervereinigung oft argumentierten. Diese These vertritt der Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung der Leibniz-Gemeinschaft in Potsdam, Martin Sabrow, in einer Zusammenfassung des Forschungsstandes für die aktuelle Ausgabe des Leibniz-Journals.

Sabrow sieht im Vorfeld des Mauerbaus gegenläufige Interessen von Ulbricht einerseits und dem sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow. Während Ulbricht mit der Abriegelung West-Berlins das weitere Ausbluten des ostdeutschen Staates durch die Massenflucht seiner Arbeitskräfte verhindern wollte, war Chruschtschow nicht gewillt, dadurch die Unterlegenheit des Sozialismus einzugestehen. Chruschtschow, der sich durch die sowjetische Atomrüstung weltpolitisch in der Offensive sah, wollte die Westalliierten zu einem deutschen Friedensvertrag mit einer „Freien Stadt“ West-Berlin zwingen, über die er dann sukzessive die Kontrolle übernehmen wollte.

Ulbricht hingegen strebte zunächst nach der kurzfristigen Rettung der DDR durch eine Teilung Berlins, um dann einen einseitigen Friedensvertrag mit der Sowjetunion abzuschließen – letztlich auch mit dem Ziel, West-Berlin über kurz oder lang der DDR einzuverleiben.

Letztlich überholte aber der Massenexodus aus der unattraktiven DDR in die Bundesrepublik die weltpolitischen Offensivpläne Chruschtschows, so dass dieser sich im Juli 1961 ganz in den Dienst der Pläne Ulbrichts stellte und den Weg für die DDR-Führung zum Mauerbau freimachte. Aber auch damit ging das Kalkül des SED-Staates nicht auf: Die Mauer war nicht das erwartete Druckmittel gegenüber den Westalliierten, um diese zu einem Friedensvertrag zu nötigen. Spätestens nach der Kuba-Krise 1962 und der damit verbundenen weltpolitischen Machteinbuße der Sowjetunion wurde aus der Mauer kein Provisorium, sondern ein Dauerzustand, der erst 28 Jahre später gemeinsam mit dem SED-Regime beendet wurde.

Der komplette Aufsatz von Martin Sabrow findet sich in der neuen Nummer 2/2011 des Leibniz-Journals, das sich unter dem Oberthema „Grenzen“ neben dem Mauerbau auch mit anderen Trennlinien, Strukturen und Treffpunkten im Fokus der Forschung beschäftigt:

„Grenzen überwinden, grenzenloses Forschen“ ist der Gastkommentar über Wissenschaft im Wettbewerb von Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt und Senatorin der Leibniz-Gemeinschaft, überschrieben.

Einen grenzenlosen Kampf gegen die Tuberkulose hat das Nationale Referenzzentrum für Mykobakterien am Forschungszentrum Borstel, dem Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften aufgenommen.

Im molekularen Niemandsland entwickelt das Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften in Dortmund neue Methoden zur Untersuchung von Grenzflächen.

Keine Mauer steht für immer, sagt die Geographin Kristine Müller vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner in einem Interview über den Alltag an der östlichen EU-Außengrenze.

Die Grenz-Experten der Leibniz-Gemeinschaft sitzen am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig, das in diesem Heft portraitiert wird.

Das Leibniz-Journal steht als PDF-Dokument im Internet zum Download unter www.leibniz-gemeinschaft.de/journal bereit und kann in gedruckter Form über presse(at)leibniz-gemeinschaft.de bestellt werden.