Bildungsferne Schichten im Blick

Das Matthäus-Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben!“ gilt auch in der Bildungsdebatte. Viele aktuelle Bildungsangebote verbreitern nach wie vor die Wissenskluft zwischen bildungsfernen und bildungsnahen Bevölkerungsgruppen. Im neuen Zwischenruf der Leibniz-Gemeinschaft „Bildung fördern. Teilhabe ermöglichen.“ liefern Leibniz-Wissenschaftler Beiträge zur Bildungsdebatte vom Kindergartenalter bis zur beruflichen Weiterbildung aus der Perspektive der Bildungs-, Sozial- und Raumforschung.

21.10.2008 · Pressemeldung · Leibniz-Gemeinschaft

Viele Bildungsangebote in Deutschland führen zu einer größeren Wissenskluft zwischen bildungsfernen und bildungsnahen Bevölkerungsgruppen. Getreu dem als Matthäus-Prinzip bekannten Muster „Wer hat, dem wird gegeben“, lässt sich diese Erkenntnis über die gesamte Bildungsbiografie vom Kindergarten bis zur beruflichen Weiterbildung nachweisen.

Leibniz-Präsident Ernst Th. Rietschel sagt: „Noch schließen wir in Deutschland zu viele Menschen von Bildungschancen aus – nicht willentlich, aber doch deutlich sichtbar.“ Er verweist dazu auf die Befunde aus Leibniz-Einrichtungen wie dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) und dem Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB). Demnach schaffen nur 14 Prozent der Kinder von Eltern mit Hauptschulabschluss den Sprung auf das Gymnasium, bei Kindern von Abiturienten liegt die Quote bei 68 Prozent. Und Kinder aus bildungsfernen Haushalten haben es auf dem Gymnasium schwerer, jedes dritte von ihnen scheitert dort. Hat mindestens ein Elternteil das Abitur, liegt die Abbrecherquote bei nur mehr 20 Prozent. Das zeigen Studien auf der Basis von Daten des SOEP.

Eine zentrale Erkenntnis ist, dass die Grundlagen für den späteren Bildungsweg sehr früh gelegt werden: Prof. Dr. Katharina Spieß (SOEP/ Freie Universität Berlin) hat unter anderem nachgewiesen, dass eine zunehmende Dauer des Besuchs einer Kindertageseinrichtung die Wahrscheinlichkeit senkt, dass Kinder später die Hauptschule besuchen.

Ebenso sind Bildung und kulturelle Aktivität der Eltern wichtigere Faktoren für den späteren Bildungserfolg der Kinder als das Haushaltseinkommen. Kinder deren Eltern zwar ein hohes Haushaltseinkommen haben, aber nur über einen Hauptschulabschluss verfügen, gehen demnach seltener auf das Gymnasium als Kinder, deren Eltern über Abitur verfügen, aber nur ein geringes Haushaltseinkommen erzielen.

Auch im späteren Berufsleben setzt sich nach Analysen des WZB der Zusammenhang von Bildungsarmut und Arbeitslosigkeit fort. Junge Erwachsene ohne Berufsausbildung haben nicht nur sehr häufig gering qualifizierte Eltern, sondern zumeist auch Mitschüler und Freunde, die keine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Eltern wie Freunde arbeitslos sind, ist damit sehr hoch. Als Folge stehen ihnen bei der Arbeitsplatzsuche deutlich weniger Informationen über das Wann, Wo und Wie des Sich-Bewerbens zur Verfügung. Sie haben in den Betrieben seltener einen Leumund und eine persönliche Fürsprache durch bereits Beschäftigte.

Eine zunehmende Wissenskluft lässt sich auch auf dem Gebiet der Weiterbildung nachweisen. Das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) in Bonn hat herausgefunden, dass Hochschulabsolventen mit einer acht Mal höheren Wahrscheinlichkeit an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen als Beschäftigte ohne abgeschlossene Berufsausbildung.

Die Nutzung informeller Bildungsangebote wie etwa moderne Informations- und Kommunikationstechnologien oder auch Internet-basierte soziale Netzwerke à la „studiVZ“, „Facebook“ o.ä. als Kontakt- und Austauschplattformen fördert ersten Forschungsergebnissen des Instituts für Wissensmedien (IWM) in Tübingen zufolge eine zunehmende Wissenskluft. Hier lässt sich feststellen, dass Besserqualifizierte das Internet überwiegend als Informationsmedium nutzen, während Geringqualifizierte von ihm in erster Linie als Unterhaltungsmedium Gebrauch machen.

Diese und weitere Themengebiete wie etwa Möglichkeiten der Raumwissenschaften, soziale Brennpunkte und damit bildungsfeindliche Milieus zu beseitigen, oder wie Kinder mit besonderen Lernrisiken optimal gefördert werden können, greift der aktuelle „Zwischenruf“ der Leibniz-Gemeinschaft anlässlich des Bildungsgipfels in Dresden unter dem Thema Bildung und soziale Teilhabe auf. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus acht Leibniz-Einrichtungen legen Analysen der Situation vor und zeigen Wege, um die Probleme zu lösen.

Die Leibniz-Gemeinschaft verfügt wie keine andere Forschungsorganisation in der Bundesrepublik über Ressourcen, die vielen Facetten des Themas Bildung zu untersuchen. Mit dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung in Bonn, dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main, dem Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften an der Universität Kiel und dem Institut für Wissensmedien in Tübingen verfügt sie über die einschlägigen Einrichtungen der Bildungsforschung. Deren Kompetenzen werden durch Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler und Raumwissenschaftler ergänzt. Dabei spielt das Sozio-oekonomische Panel SOEP am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine zentrale Rolle als kostenlose Datenbasis für alle unabhängigen Forscherinnen und Forscher.

Der Zwischenruf kann im Internet über die Seiten der Leibniz-Gemeinschaft heruntergeladen (www.leibniz-gemeinschaft.de -> Aktuelles/Presse -> Publikationen -> Zwischenruf bzw. http://www.leibniz-gemeinschaft.de/?nid=zwr&nidap=) oder in gedruckter Form bestellt werden.